Halb Neandertalerin, halb Denisovaner

Forscher haben in Sibirien einen bemerkenswerten Knochen gefunden: Er stammt von einer jungen Frau, die vor rund 50.000 Jahren gestorben ist. Ihre Mutter war Neandertalerin, ihr Vater Denisovaner – ein Vertreter einer erst vor Kurzem entdeckten Menschengruppe.

„Aus früheren Studien wussten wir bereits, dass Neandertaler und Denisovaner gelegentlich Nachwuchs miteinander gezeugt haben”, sagt die Studienautorin Viviane Slon vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. „Doch ich hätte nie gedacht, dass wir so viel Glück haben könnten, auf einen direkten Nachkommen der beiden Gruppen zu stoßen.”

Erst vor zehn Jahren wurden in der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge im südlichen Sibirien die ersten Fossilien entdeckt, die Hinweise auf eine bis dahin unbekannte Menschengruppe brachten. Mittlerweile ist klar: Zusammen mit den Neandertalern sind die Denisovaner die nächsten ausgestorbenen Verwandten heute lebender Menschen. Ihre Spuren kann man heute noch finden: „Menschen aus Ozeanien tragen bis zu sechs Prozent Denisova-DNA in ihrem Erbgut, Asiaten und Europäer viel weniger“, sagt Slon gegenüber science.ORF.at. „Zeitpunkt und Ort dieses Genaustausches sind noch unklar, aber vermutlich haben sie nichts mit dem Vermischen mit Neandertalern zu tun, was es ja auch gegegeben hat.“

Die Knochenfragmente (”Denisova 11”) wurden 2012 in der Denisova-Höhle in Russland von russischen Archäologen entdeckt

T. Higham, University of Oxford

Die Knochenfragmente von ”Denisova 11”

Liebe in der Höhle

Das Fragment, das im Mittelpunkt der aktuellen Studie steht, wurde 2012 in der Denisova-Höhle entdeckt und ist Teil eines längeren Knochens. „Wir schätzen, dass die Frau, der der Knochen gehörte, zum Todeszeitpunkt mindestens 13 Jahre alt gewesen ist”, sagt Bence Viola, der früher an der Universität Wien gearbeitet hat und nun an der University of Toronto in Kanada forscht. Das Knochenfragment („Denisova 11“) wurde für genetische Analysen nach Leipzig gebracht, nachdem es aufgrund seiner Proteinzusammensetzung als menschlich identifiziert worden war.

Zur Überraschung der Forscher stellte sich dabei heraus, dass die Mutter von „Denisova 11“ eine Neandertalerin war und der Vater ein Denisova-Mensch. Zwar berichteten schon frühere Studien von Überresten der beiden Menschenarten oder -gruppen – sowie zusätzlich von Hinweisen auf den modernen Menschen – in der Höhle. Bisher ging man aber davon aus, dass sie sich eher nacheinander dort aufhielten – im Abstand von ein paar tausend Jahren. Die aktuelle DNA-Analyse hingegen zeigt, dass sich Denisovaner und Neandertalerin zur gleichen Zeit in der Höhle oder ihrer Umgebung lieb hatten.

Zusätzlich haben die Forscher festgestellt, dass die Mutter genetisch näher mit Neandertalern verwandt war, die in Westeuropa lebten, als mit einem Neandertaler, der zu einem früheren Zeitpunkt in der Denisova-Höhle gelebt hatte. Dies zeigt, dass die Neandertaler Zehntausende von Jahren vor ihrem Verschwinden zwischen West- und Ost-Eurasien migrierten.

Eingang zur Denisova-Höhle

B. Viola/MPI f. evolutionäre Anthropologie

Eingang zur Denisova-Höhle

Häufiger Sex

Analysen des Erbguts ergaben auch, dass der Denisova-Vater von „Denisova 11“ wenigstens einen Neandertaler in seinem Stammbaum hatte. „Anhand dieses einzigen Genoms können wir gleich mehrere Interaktionen zwischen Neandertalern und Denisovanern dokumentieren”, sagt Max-Planck-Forscher Benjamin Vernot, ein weiterer Studienautor.

„Es ist schon beeindruckend, dass sich unter den wenigen Genomen früher Menschen, die wir bis jetzt sequenziert haben, dieses Neandertaler-Denisovaner-Kind befindet”, ergänzt Svante Pääbo, Direktor der Abteilung für Evolutionäre Genetik am Leipziger Institut. „Neandertaler und Denisovaner hatten vielleicht nicht viele Gelegenheiten einander zu treffen. Aber wenn sie aufeinandergetroffen sind, müssen sie relativ häufig Kinder miteinander gezeugt haben – viel öfter, als wir bisher dachten.”

science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: