"Nenn mir deine Freunde, und ich sag dir, wen du wählst“

Wahlprognosen liegen oft daneben, dabei könnte man sie mit der einfachen Frage „Wen wählen Ihre Freunde?“ leicht verbessern. Das meint eine Psychologin - die auch autobiografisch stark mit dem Thema verbunden ist.

Die Wahlforschung hat derzeit nicht den besten Ruf, weil sie in jüngster Zeit einige Schlappen einstecken müssen, etwa bei den Präsidentschaftswahlen in den USA oder in Frankreich. Die Psychologin und Komplexitätsforscherin Mirta Galesic vom US-amerikanischen Santa Fe Institute hat untersucht, wie Vorhersagen präziser werden können.

Mirta Galesic in Alpbach

Hans Leitner, ORF

Mirta Galesic ist in Zagreb, im ehemaligen Jugoslawien, großgeworden und hat erlebt, wie plötzlich eine Gesellschaft auseinanderbrechen kann. Seither interessiert sie sich dafür, wie Menschen Entscheidungen fällen und wie beeinflussbar sie durch Freunde und Familie sind.

science.ORF.at: Sie haben sich nicht nur angesehen, was bei Wahlprognosen falsch läuft, sondern auch einen überraschenden Verbesserungsvorschlag parat.

Mirta Galesic: Wir konnten zeigen, dass eine simple Frage die Genauigkeit von Wahlumfragen verbessern kann: Wen werden Ihre Freunde und Familie wählen? Menschen wissen meist sehr viel über ihre Freunde: Bildungsgrad, Einkommen, aber auch ihre politischen Ansichten. Wir beschlossen, dieses Wissen für Wahlumfragen heranzuziehen - also wieviel Prozent der Leute in ihrem Umfeld für Trump oder Clinton stimmen werden - und haben festgestellt, dass Wahlumfragen dadurch genauer werden. Wir haben diese kleine Zusatzfrage bei den US-Wahlen ausprobiert und konnten Wahlprognosen verbessern. Ein Jahr später haben wir den Ausgang der Wahl in Frankreich richtig vorausgesagt. Und wir werden unseren Fragenkatalog auch 2018 bei den US-Zwischenwahlen testen.

Warum wissen Menschen offenbar besser über ihr Umfeld Bescheid als über sich selbst?

Galesic: Dafür gibt es mehrere Gründe. Vielen Menschen ist etwa peinlich zuzugeben, dass sie für einen unpopulären Kandidaten stimmen werden. Es fällt leichter zu sagen, dass Freunde ihn wählen. Ich sehe darin allerdings nicht den Hauptgrund. Viel wichtiger ist, dass wir von unseren Freunden beeinflusst werden. Selbst wenn sie ein paar Monate vor der Wahl noch vorhaben, anders zu wählen als die meisten ihrer Freunde, kann es gut sein, dass Sie am Wahltag doch den Favoriten ihrer Freunde ankreuzen. Das liegt ganz einfach daran, dass wir von unserem sozialen Umfeld beeinflusst werden. Das liegt in der Natur des Menschen. Wir sind dafür gemacht, zu kooperieren und uns Menschen anzupassen, denen wir uns verbunden fühlen. Nach der Meinung Ihrer Freunde zu fragen, bedeutet in Ihre Zukunft zu schauen.

Werden die Umfrageinstitute ihre Vorschläge aufgreifen, zum Beispiel in den nahenden Zwischenwahlen im Herbst?

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichtet auch matrix, 24.8., 19:05 Uhr.

Galesic: Das wäre schön. Wir arbeiten mit einem Meinungsforschungsinstitut zusammen, das für unsere wissenschaftliche Untersuchung im Herbst die Fragen zum persönlichen Umfeld stellen wird. Wir hoffen also, dass die Methode populärer wird. Die Frage nach der Wahlentscheidung von Freunden ist ja nicht wirklich neu. Sie wird schon seit Jahrzehnten in Umfragen verwendet, wenn es um heikle Fragen geht. Aber sie wurde nie so systematisch im Wahlumfragen angewandt. Es gab außer uns bei den US-Präsidentschaftswahlen ein kleines unabhängiges Umfrageinstitut, das ähnliche Fragen gestellt hat, und sie waren ebenfalls erfolgreich. Ich hoffe, dass auch in anderen Ländern auf diese Fragetechnik zurückgegriffen wird, denn ich glaube sie funktioniert kulturunabhängig überall.

Im Zusammenhang mit dem Sieg von Donald Trump und den Erfolgen von populistischen Parteien in Europa wird diskutiert, welchen Anteil daran das Internet hat. Werden soziale Medien zu Echokammern, wo man immer mehr vom Gleichen serviert bekommt, wo Gleichgesinnte zusammentreffen und ihre Meinungen verfestigen?

Galesic: In der Forschung ist es ja noch sehr umstritten, wie stark der Echokammereffekt wirklich ist, gerade bezogen auf die US-Wahl. Da gibt es unterschiedliche Ergebnisse. Unbestritten ist, dass das Internet stark beeinflusst, wie Menschen Kontakte knüpfen und auch abbrechen. Es ist heute leichter denn je, ähnlich gestrickte Menschen kennenzulernen, genauso mit Menschen den Kontakt abzubrechen, mit denen wir nicht einer Meinung sind.

Technologiegespräche Alpbach

Von 23. bis 25. August finden im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach die Technologiegespräche statt, organisiert vom Austrian Institute of Technology (AIT) und der Ö1-Wissenschaftsredaktion.

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Es ist also leichter als früher, uns davon zu überzeugen, dass unsere Überzeugungen stimmen, egal wie extrem sie sind. Hier sehe ich die größte Gefahr des Netzes. Es ist heute schwieriger, Menschen dazu zu bringen, ihre Meinung zu ändern. Wenn hier in Alpbach, in einem kleinen Dorf, jemand eine radikale Position vertritt, dann muss er langfristig entweder den Ort verlassen oder sich an die Mehrheit anpassen. Denn die sozialen Kosten als Außenseiter dazustehen, sind sehr hoch. Vor dem Internet war es also leichter, Menschen von einer Sache zu überzeugen, sie von sonderbaren Meinungen abzubringen. Heute kann dieser Mensch online eine Community finden, die seine extremen Überzeugungen teilt.

Warum bekommen auf sozialen Medien radikale Meinungen, abschottende Tendenzen die Oberhand? Liegt es am Design der Plattformen?

Galesic: Das kann durchaus sein. Bis zu einem gewissen Grad könnte man durch das Design solche Tendenzen sicherlich beeinflussen. Man könnte fördern, dass Menschen abweichende Meinungen äußern. Wer heute auf einer Plattform, auf der sich lauter Gleichgesinnte austauschen, eine abweichende Meinung postet, wird beschimpft. Es entsteht keine produktive Debatte. Wenn man Anreize für abweichende Meinungen schaffen könnte, wenn jemand dafür belohnt wird, dass er widerspricht, könnte das eine Möglichkeit sein, Polarisierung und Radikalisierung zu stoppen.

Mirta Galesic in Alpbach

Hans Leitner, ORF

Mirta Galesic in Alpbach

In einem Interview haben Sie einmal erzählt, dass Erfahrungen in Ihrer Jugend Ihr Interesse daran geweckt haben, wie Menschen Entscheidungen treffen. Was waren das für Erfahrungen?

Galesic: Ich bin im ehemaligen Jugoslawien geboren, als ich 16 war, ist der Krieg ausgebrochen. Ich hatte Glück, denn ich lebte in Zagreb und weder ich noch meine Familie waren vom Krieg direkt betroffen, aber ich konnte beobachten, wie das System innerhalb weniger Monate zusammenbrach. Für mich war das eine schreckliche, aber auch faszinierende Erfahrung, wie eine scheinbar normale, geschützte, rücksichtsvolle Atmosphäre plötzlich zerstört wird. Ausgelöst wurde das durch die Ängste der Menschen vor Veränderungen und durch ökonomische Unsicherheit. Politiker wussten diese Ängste auf eine Gruppe zu projizieren und diese für alle Probleme verantwortlich zu machen.

Das klingt wie eine Diagnose aus dem Jahr 2018.

Galesic: In unsicheren Zeiten greifen Menschen immer auf Bekanntes zurück, auf das, was sie von ihren Großeltern gelernt haben, auf ihre Traditionen, auf Religion. Sie suchen starke Anführer. Das kann katastrophale Konsequenzen haben. Ich dachte immer, so ist vielleicht der Balkan, mit seinem Mangel an demokratischen Traditionen. Es ist so faszinierend und gleichzeitig gruselig, wenn wir jetzt ähnliche Entwicklungen in den USA erleben. In einem Land mit einer starken demokratischen Tradition erleben wir gerade, wie schnell das System bröckelt: Die Meinungsfreiheit, die freie Presse, eine unabhängige Justiz, all das ist in Gefahr. Das alles nach knapp zwei Jahren populistischer Identitätspolitik. Einer spezifischen Gruppe, wie illegalen Migranten, wird die Schuld an allem in die Schuhe geschoben. Es ist haargenau die gleiche Strategie wie am Balkan, und sie ist leider hervorragend aufgegangen. Für mich ist es gleichzeitig furchterregend und spannend, die weitere Entwicklung in den USA zu beobachten.

Anna Masoner aus Alpbach, Ö1-Wissenschaft

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