Trockenheit „menschengemachte Katastrophe“

Ahaltende Dürren drohen den Iran in einen Wüstenstaat zu verwandeln: Der deutsche Geograf Hans Gebhardt erklärt, aus welchen Gründen das Wasser knapp wird - und warum auch Europa von der Krise im Nahen Osten betroffen ist.

Es ist heute möglich, extrem tiefe Brunnen zu bohren, Meerwasser zu entsalzen und stark verunreinigte Abwässer wieder aufzubereiten. Kann Technik Konflikte, die wegen Wasserknappheit entstehen, nicht längst entschärfen?

Hans Gebhardt: Die Meerwasseraufbereitung zu Trinkwasser spielt in einigen Ländern eine große Rolle, insbesondere in den Golfstaaten, also Dubai und Abu Dhabi. Aber das ist enorm energieaufwendig. Das können sich nur Staaten leisten, die über eigene Öl-Ressourcen verfügen oder einen billigen Zugang zu entsprechenden Ressourcen haben.

Zur Person

Hans Gebhardt (67) ist ein deutscher Human-Geograf und seit 1996 Lehrstuhlinhaber der Professur für Humangeografie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg. In der Vergangenheit forschte er auch zum Konfliktpotenzial von Wasser im Vorderen Orient.

Kommt es bei Wassermangel und Dürren eher zu innenpolitischem Druck - oder ist das Konfliktpotenzial zwischen Staaten stärker?

Hans Gebhardt: Es wirken beide Komponenten zusammen. Wenn wir auf den Vorderen Orient schauen, hat sich die ökologische Situation - zum Beispiel im Irak - in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Bis in die 1960er Jahre war das Unterlaufgebiet von Euphrat und Tigris ein Überschwemmungsgebiet. Dort haben Menschen früher vom Wasser gelebt. Diese Überschwemmungsgebiete sind heute ausgetrocknet. Insofern ist da natürlich ein innerstaatliches Konfliktpotenzial entstanden. Aber relativ wichtig ist auch das Zwischenstaatliche, also die Rolle der Oberlieger vom Irak aus gesehen, also Syriens und der Türkei.

Zum Beispiel?

Hans Gebhardt: Als die Türkei im Zuge des Great Anatolian Project den Atatürk-Stausee geflutet hat, ist im Irak und in Syrien für einige Monate kaum mehr Wasser angekommen. Inzwischen wurden unter Regie der Vereinten Nationen Verträge zur Lösung des Problems ausgehandelt.

Brücke führt über komplett ausgetrocknetes Flussbett

APA/AFP/ATTA KENARE

Isfahan, Iran, im April 2018: der Zayandeh-Fluss und die im 16. Jahrhundert erbaubte Allah-Verdi-Khan-Brücke

Schauen wir auf den Iran, der aktuell unter einer schweren Dürre leidet. Das zeigt sich an Gewässern wie dem Urmia-See, der immer mehr Fläche einbüßt. Ist die verfehlte Wasserpolitik des Regimes schuld an der Entwicklung?

Hans Gebhardt: Ich bin zwei Mal über den Urmia-See geflogen. Aus der Luft sieht man große Salzfelder und Vertrocknungsgebiete. Kurz danach kommt man in der Türkei an den Vansee, und der ist weitgehend intakt. Der Vergleich zeigt, dass der Urmia-See nicht unter einer natürlichen Dürre leidet. Es ist eine menschengemachte Katastrophe. Doch der jetzigen Regierung die Schuld zu geben, wäre zu einfach. Das Wasser des Urmia-Sees - und das vieler anderer Seen und Aquifere (Grundwasserleiter; d. Red.) im Vorderen Orient - wird seit Jahrzehnten übernutzt.

Kann es Europa egal sein, wenn sich Konflikte um Wasser im Vorderen Orient zuspitzen?

Hans Gebhardt: Man muss sich klarmachen, die Region ist nicht ganz weit weg von uns. Ein Flug von Beirut nach Paris ist eigentlich ein Katzensprung. Insofern sind natürlich Vorgänge in den Staaten des Vorderen Orients - angefangen von der Türkei über den Iran, Irak, Syrien bis hin zum Libanon - von direktem Einfluss auf das, was in Europa passiert. Das hat man im Syrienkonflikt 2015 gesehen, der massive Fluchtbewegungen auch in Richtung Europa ausgelöst hat.

Interview: Oliver Beckhoff, dpa

Mehr zu diesem Thema: