Alt, weiß, männlich, amerikanisch

Nächste Woche werden die Nobelpreise 2018 verliehen. Schon jetzt ist sehr wahrscheinlich, dass in erster Linie alte, weiße US-Amerikaner ausgezeichnet werden. Doch zumindest die Dominanz der USA könnte bald schwinden, wie langjährige Statistiken zeigen.

Dabei scheinen die absoluten Zahlen bemerkenswert eindeutig: Die schlausten Köpfe der Welt sitzen demnach in Amerika. Sie forschen an den mit Abstand besten Universitäten. Seit 1901 haben Wissenschaftler von 127 US-amerikanischen Forschungsinstituten in den Kategorien Physik, Chemie, Medizin und Wirtschaft 369 Nobelpreise abgeräumt. Das ist mehr als die Hälfte aller vergebenen Auszeichnungen.

Doch diese Zahlen, meint der Frankfurter Physiker Claudius Gros, täuschten darüber hinweg, dass die Zeit der großen US-amerikanischen Erfindungen zumindest in den Nobeldisziplinen langsam zu Ende gehe. Er hat die erlangten Nobelpreise in einer Studie ins Verhältnis zur Bevölkerungszahl von vier Ländern gesetzt, deren Staatsangehörigkeit die Gewinner zur Zeit der Preisvergabe hatten (USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich). Die Kurve der USA zeigt klar nach unten, schon seit 1972.

Verlagerung zu KI und Informatik

„Davor standen die USA wissenschaftlich in voller Blüte“, sagt Gros - die Zeit der ersten Mondlandung und großer Entdeckungen. Noch immer sei die „Produktivität“ der US-Wissenschaftler zwar relativ hoch. „Deutlich höher als die von Deutschland. Aber nach der Vorhersage wird sich das in zehn Jahren ändern“, sagt der Physiker. 2025 hätten deutsche Wissenschaftler demnach bessere Chancen auf einen Nobelpreis als amerikanische. Am meisten aber würde mit Blick auf die Einwohnerzahl Großbritannien abräumen.

Heißt das, dass die US-Forschung schlechter geworden ist? Nicht unbedingt. Die Wissenschaftler dort konzentrieren sich allerdings inzwischen weniger auf Physik, Chemie oder Medizin, wo wissenschaftlicher Fortschritt immer schwieriger wird. „Sie machen lieber Informatik und künstliche Intelligenz (KI), wo die Post noch richtig abgeht. Wo auch mehr Geld zu verdienen ist“, sagt Gros. Bloß gibt es dafür eben keine Nobelpreise.

Das Erbe der Nazis

Für Deutschland kam das Erbe von Alfred Nobel der Statistik zufolge ein paar Jahre zu spät. Die produktivste Zeit der deutschen Wissenschaft sei die Gründerzeit gewesen, sagt Gros. Schon bevor 1901 der erste Nobelpreis vergeben worden sei, gehe es abwärts. Dann flohen ab 1933 zudem zahlreiche hervorragende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vor der Nazi-Herrschaft aus Deutschland.

„Ich vermute, dass die Produktivität ohne die Auswanderung größer wäre, als sie heute ist“, sagt Gros. Mit anderen Worten: Die Nazizeit brachte Deutschland und Österreich um Nobelpreise. Mindestens 25 in Deutschland geborene Nobelpreisträger hatten zum Zeitpunkt der Preisverleihung eine andere Staatsangehörigkeit. Viele davon hatten wegen der Nazis das Land verlassen. Die aktuellsten Beispiele: Der Physikpreisträger des vergangenen Jahres, Rainer Weiss, der als Kind mit seiner Familie 1938 vor den Nationalsozialisten floh. Oder der Chemienobelpreisträger von 2013, Martin Karplus, der als Kind jüdischer Eltern Wien 1938 wegen der Nazis verlassen musste.

Eindeutig ist zu sehen, dass deutsche Wissenschaftler bis etwa 1940 in absoluten Zahlen gesehen mehr Auszeichnungen einheimsten als die amerikanischen oder britischen, vor allem in Physik und Chemie. 1943 begann dann die selten unterbrochene Siegesserie der US-Universitäten.

Nur 48 Frauen ausgezeichnet

Nimmt man die Nobelpreise für Literatur und Frieden mit in die Rechnung, ist die Dominanz übrigens nicht mehr ganz so erdrückend. Beim Literaturnobelpreis hat Frankreich mit 16 ausgezeichneten Autoren die Nase vorn. Die USA und Großbritannien teilen sich mit je elf den zweiten Rang, Deutschland folgt mit 8 Nobelpreisträgern gleichauf mit Schweden.

Ihren eigenen Landsleuten scheinen die skandinavischen Nobeljurys ohnehin ungern Preise zu geben. Und Frauen auch nicht. Nur 48 der fast 900 Nobelpreisträger waren weiblich. Marie Curie hatte zwei erhalten - für Physik und für Chemie. Im vergangenen Jahr äußerte die Königliche Wissenschaftsakademie ihre Sorge deswegen: „Ich vermute, dass es viel mehr Frauen gibt, die es verdienen, für den Preis berücksichtigt zu werden“, sagte der Vorsitzende Göran Hansson. Auch die Geografie sprach er an. „Ich hoffe, dass wir in fünf oder zehn Jahren eine ganz andere Verteilung sehen.“

Im gleichen Jahr ging der Physiknobelpreis an drei alte, weiße Amerikaner. Damit erhielten 2017 mehr Männer diesen Preis als Frauen in mehr als 100 Jahren.

Theresa Münch, dpa/science.ORF.at

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