Tundrapflanzen wachsen höher

In der Arktis wachsen immer mehr Pflanzen, die im Schnitt höher sind als das noch vor 30 Jahren der Fall war. Eine Studie zeigt: Verantwortlich ist die Klimaerwärmung, die in den arktischen Kältesteppen besonders schnell voranschreitet.

Aufgrund der tiefen Temperaturen dominieren in arktischen Regionen niedrige Gräser und Zwergsträucher. Mit ihrer bodennahen Strategie nutzen sie die wärmere Luft knapp über dem Untergrund und vermeiden es, viel Angriffsfläche für den eisigen Wind zu bieten. Unter der Leitung von Anne Bjorkman vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) und dem Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum trug das Team aus 130 Biologen Langzeitdaten von 117 Tundra-Standorten in Alaska, Kanada, Island, Skandinavien und Sibirien zusammen, um herauszufinden, wie die dortige Pflanzenwelt auf höhere Temperaturen reagiert.

Scheuchzer Wollgras

Sabine Rumpf

Scheuchzers Wollgras gedeiht in Flachmooren, vermoorten schlammigen Tümpeln, Gräben und Seen und Verlandungszonen stehender Gewässer

In den vergangenen drei Jahrzehnten sind in dieser Weltregion die durchschnittlichen Temperaturen im Sommer um rund ein Grad und im Winter um 1,5 Grad angestiegen. „Dieser Datensatz erlaubt zum ersten Mal eine für das gesamte Tundra-Biom repräsentative Untersuchung der Zusammenhänge zwischen funktionellen Eigenschaften von Pflanzen und Standortbedingungen wie Temperatur und Bodenfeuchte“, so Stefan Dullinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien in einer Aussendung. Er hat gemeinsam mit den Wiener Forschern Karl Hülber, Sabine Rumpf und Philipp Semenchuk an der Studie mitgearbeitet, darüber hinaus findet sich mit dem Ökologen Michael Bahn von der Uni Innsbruck ein weiterer Wissenschaftler aus Österreich unter den Autoren.

Beschleunigung oder Bremse?

„Einerseits werden die Arten, die schon vor 30 Jahren am Standort gewachsen sind, jetzt höher. Und andererseits sind neue, an sich höherwüchsige Arten in die Beobachtungsflächen eingewandert“, sagt Rumpf. Dieser Zuwachs habe nicht nur „in bestimmten Gebieten stattgefunden, sondern fast überall“, so Bjorkman.

„Wenn sich die höherwüchsigen Pflanzen weiter wie bisher ausbereiten, könnte die Wuchshöhe von Pflanzengemeinschaften in der Tundra bis zum Ende des Jahrhunderts durchschnittlich nochmals um 20 bis 60 Prozent zunehmen“, so die Projektleiterin in einer Aussendung des iDiv. Zur Überraschung der Forscher fanden sich jedoch noch keine Anzeichen, dass der hochgeschossene Zuwachs die kleineren Pflanzen verschwinden lässt.

weiße Silberwurz

Sabine Rumpf

Die weiße Silberwurz bildet zusammen mit Moosen und Flechten die Hauptvegetation der Tundra

Da rund ein Drittel des weltweit im Boden gebundenen Kohlenstoffs in Permafrostböden gespeichert ist, bestimmt die zukünftige Entwicklung dort auch mit, wie es mit dem Klimawandel weiter geht. Beim Tauen der Böden entweichen nämlich die Klimagase Kohlendioxid und Methan.

Die Entwicklung der Vegetation in der arktischen Tundra kann laut den Forschern diesen Prozess entweder beschleunigen oder bremsen. In welche Richtung es angesichts der zunehmend höheren Pflanzen geht, lasse sich noch nicht gesichert sagen. Da sich um diese im Winter jedoch mehr Schnee ansammelt, isolierte das den Boden darunter, was wiederum dazu führt, dass dieser nicht so schnell und nicht so tief einfriert. „Es könnte also gut sein, dass wir hier eine positive Rückkoppelung erleben: Der Klimawandel verändert die Vegetation der Arktis in einer Weise, die den Klimawandel weiter verstärkt“, so Hülber.

science.ORF.at/APA

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