Verdeckter Antisemitismus im Ständestaat

Im Ständestaat gab es kaum offen antisemitische Politik. Der Judenhass war ein „verdeckter“, wie ein neuer Sammelband zeigt. An Schulen etwa wurde Antisemitismus kaum geahndet, jüdische Lehrer und Direktoren aber sukzessive aus den Schulen gedrängt.

Antisemitismus war im Ständestaat - auch als Abgrenzung von Hitlerdeutschland - unter den Bundeskanzlern Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg nicht offizielle Regierungspolitik, in ihr wurde der Schutz der jüdischen Bevölkerung vertreten und etwa auch finanziell unterstützt. „Subkutan“ zeigte sich der Judenhass aber in vielfältigen Formen, wie der neue Band umfassend dokumentiert. Nur schwer durch Quellen nachweisbar, sei dieser unterschwellige Antisemitismus „dafür aber umso bösartiger und gefährlicher“, schreibt Alt-Bundespräsident Heinz Fischer im Vorwort des 1.200 Seiten dicken Bands „Antisemitismus in Österreich 1933-1938“, der teilweise auf einer 2015 an der Universität Wien abgehaltenen Tagung unter Schirmherrschaft des damaligen Bundespräsidenten basiert.

Buch

Gertrude Enderle-Burcel, Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.): „Antisemitismus in Österreich 1933-1938“, Böhlau Verlag, ISBN: 978-3-205-20126-7

In dem nun von Gertrude Enderle-Burcel und Ilse Reiter-Zatloukal herausgegebenen Konvolut werden die spezifischen Ausformungen dieses zunächst „unsichtbaren“, bis 1938 immer offeneren und gewalttätigen Antisemitismus etwa in Justiz und Wirtschaft, bei katholischer und evangelischer Kirche, bei Heimwehr und Vaterländischer Front, am Theater, in der Literatur und der Welt des Sports dokumentiert. Die Beiträge sollen auch den „autochthonen Charakter“ des Antisemitismus in Österreich betonen. „Katholischer Antijudaismus, ständestaatlicher Antisemitismus und der Rassenantisemitismus der Nazis gingen in den 1930er-Jahren fließen ineinander über und rechtfertigten sich gegenseitig“, wie der Historiker Christian Klösch in dem Band formuliert.

Intrigen gegen jüdische Lehrer

„Einen schmalen Lichtkegel in die ‚black box‘ des schulischen Geschehens der Jahre 1933 bis 1938“ soll der Beitrag von Historiker Stefan Spevak mithilfe von Akten aus dem Archiv des Wiener Stadtschulrats werfen. Antisemitismus, so zeigen seine Recherchen, hat in den - teils offen ausgetragenen - politischen Auseinandersetzungen zwischen Schülern, Lehrern und Eltern oft eine Rolle gespielt, indem etwa Schüler oder Eltern Intrigen gegen jüdische Lehrer anzettelten. Obwohl der Anteil an Juden unter Lehrern schon zuvor gering war - bis 1867 durften sie den Beruf gar nicht, danach nur eingeschränkt ergreifen - machten Eltern gegen eine „Überdosierung jüdisch-zionistischer Lehrkräfte“ mobil, diese hatten kaum noch Chancen auf Einstellung. Am Beispiel der Pflichtschulen in Wien-Leopoldstadt zeigt sich, dass auch der Anteil an jüdischen Schulleitern im Ständestaat deutlich zurückging.

Diese Entwicklungen fielen zusammen mit einem generellen Lehrkräfteabbau beim Regimewechsel, der auch genutzt wurde, um das Personal passend zu den „ideologischen Zielvorstellungen“ auszutauschen und etwa Sozialdemokraten aus dem Schulsystem zu drängen. So musste etwa ein Fünftel der 500 Wiener Schuldirektoren den Posten räumen.

Das Hinausdrängen von Juden aus den Schulen hat allerdings schon vor 1934 eingesetzt: Die spätere SPÖ-Nationalratsabgeordnete Stella Klein-Löw etwa schildert, dass sie trotz hervorragender Zeugnisse als Jüdin und Sozialdemokratin keine Stelle bekam und immer an den Vorbehalten der Schulverwaltung und Lehrerschaft gescheitert sei. Besonders die antisemitisch geprägten Lehrerverbände spielten laut Spevak wegen ihres Mitspracherechts bei Postenvergaben bei der Ausgrenzung jüdischer Lehrer eine unheilvolle Rolle.

Absurde Vorwürfe

Antisemitismus wurde von den Schulbehörden laut Spevak generell nur „lavierend geahndet“, ohne offen dagegen Stellung zu beziehen. Selbst die absurdesten Vorwürfe konnten demnach für jüdische Lehrkräfte Folgen haben: Der Zeichenlehrerin Irma Last wurde etwa vorgeworfen, „Kinder zu schlagen, an die Wand zu werfen oder sonstwie unflätig mit ihnen umzugehen“ und „Orgien zwischen Mädchen und Buben“ zu fördern. Die Vorwürfe hätten sich als völlig haltlos herausgestellt, dennoch wurde Last an eine andere Schule versetzt. In anderen Fällen wurden jüdische Lehrer unfreiwillig in den vorzeitigen Ruhestand versetzt bzw. gekündigt. Lehrer mit jüdischen Vorfahren durften nur bleiben, wenn sie Männer, zu einer christlichen Konfession konvertiert und gerade in keiner marxistischen Partei engagiert waren - so etwa der damalige Hauptschullehrer Karl Popper.

International heftig kritisiert wurde der Parallelklassen-Erlass von 1934, wonach an den Mittelschulen alle nichtkatholischen Schüler in eigenen Klassen zusammengefasst werden sollten. Der Erlass war eine Folge des Konkordats und Ausdruck einer generellen Rekonfessionalisierung, laut Spevak war er allerdings wegen inkonsequenter und teils unambitionierter Umsetzung in der Praxis oft ohne Auswirkungen. Wo in der Folge allerdings jüdische Klassen entstanden, gab man den Kindern und Jugendlichen eindeutig das Gefühl, „Schüler zweiter Klasse“ zu sein, wie der spätere „Jerusalem Post“-Herausgeber Ari Rath es beschrieb. Überhaupt führte die im Dolfuß/Schuschnigg-Regime generell stärkere Betonung der Religion dazu, dass Juden ausgeschlossen und wieder in ihrer „alten vormodernen Rolle“ landeten, so Spevak: „nämlich jener der Inferiorität“.

science.ORF.at/APA

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