„Guter Diener, schrecklicher Herrscher“

Smarte Maschinen, globale Vernetzung: Die Visionen der Digitalisierung sind zur Realität geworden. Doch wenn die Entwicklung weiter nur auf Profit zielt, wird die Zukunft ungemütlich – denn „Technologie ist ein guter Diener, aber ein schrecklicher Herrscher“.

Denn dann werden die Maschinen den Menschen eines Tages ersetzen, sagt der Futurist, Autor und Zukunftsberater Gerd Leonhard im Rahmen einer neuen TV-Doku.

TV-Sendungshinweis

„Über:Digitalisierung – Die SMARTE Versuchung?“ – 3sat, am 16.10.2018 um 22:25 Uhr: Erstausstrahlung einer TV-Doku von Peppo Wagner, in der Experten mögliche Schattenseiten der digitalen Transformation erörtern.

„Wir müssen das Wesen des technologischen Fortschritts und die Folgen für die Zukunft der Menschheit besser verstehen lernen“, so Leonhard. Er vertritt die Ansicht, dass alle Technologien am Ende immer dem kollektiven menschlichen Glück dienen sollten, und dass wir Technologie zwar annehmen, aber nicht zu Technologie werden dürfen.

Warum wäre es gerade jetzt so wichtig, sich intensiv mit allen möglichen Folgen des technologischen Fortschritts auseinanderzusetzen?

Gerd Leonhard: Technologie entwickelt sich exponentiell weiter. Wir reden seit zwanzig Jahren über autonomes Fahren, seit fünfzig Jahren über künstliche Intelligenz, über das papierlose Büro. Alles das ist eigentlich nie wirklich gekommen. Jetzt sind wir aber an einem Knickpunkt der Entwicklungskurve, wo Science Fiction in gewisser Weise zu Science Fact wird: Maschinen können Menschen verstehen, Maschinen können reden, Gesichter erkennen und lernen, Autos können selber fahren, Nanotechnologie, Batterietechnologie, Gentechnik, etc. Deswegen ist es jetzt wichtig, die Zukunft zu verstehen, denn unser Leben wird sich in den nächsten zwanzig Jahren mehr verändern als in den 300 Jahren zuvor. Daher müssen wir uns klarmachen, was diese Veränderungen für uns bedeuten werden. Auf dem Weg in die Zukunft wäre „erst mal abwarten“ genauso schlimm wie „einfach mal ausprobieren“. Zukunft ist nicht etwas, das von selber über uns kommt, sondern das, was wir laufend selbst definieren und formen.

Liegt es im Augenblick noch in der Hand der Menschen - sprich der Gesellschaft - die Zukunft zu gestalten?

Leonhard: Momentan wird die Diskussion über die Zukunft von Technologiekonzernen geführt, und das muss sich ändern. Die Diskussion sollte von Künstlern, von öffentlichen Intellektuellen und von Philosophen getrieben werden, wie es ja auch früher auch üblich war. In letzter Zeit wird die Zukunft aber immer mehr von Technologie bestimmt. Was natürlich hirnrissig ist, denn Technologie ist nur ein Werkzeug. Wir brauchen eine Diskussion, die auf einer breiten Basis und einem höheren Level läuft und die nicht nur von CEOs von irgendwelchen Tech-Firmen geführt wird. Diese „Guru-Aktion“ von Technologie hat dazu geführt, dass wir glauben, die Technologie-Unternehmen wüssten, wo es lang geht. Aber die sehen meist nur einen bestimmten Ausschnitt der Wirklichkeit, nämlich den, der ihrem Paradigma entspricht. Sie sehen nicht die anderen Ausschnitte. Facebook und Google sehen nicht das, was wir in Europa eigentlich wollen. Das interessiert sie auch gar nicht.

Brille liegt vor einem Computermonitor

ORF/Peppo Wagner Filmproduktion

Wie schätzen Sie die Rolle Europas in dieser Beziehung ein? Befinden wir uns in einem Spannungsfeld zwischen USA und China?

Leonhard: In Amerika regiert der radikale, extreme Kapitalismus, und China ist geprägt vom Staatskapitalismus. Europa befindet sich genau in der Mitte. Wir Europäer müssen definieren, was wir wollen. Obwohl wir natürlich von amerikanischen Firmen dominiert sind, was digitale Dinge betrifft. Im Endeffekt ist es die Aufgabe der Politik, der Öffentlichkeit und auch der Gesellschaft, eine Balance zu schaffen, nämlich zwischen dem, was technologisch möglich ist und Geld bringt, und dem, was es sein sollte und was für uns alle gut ist. Wie weit werden wir gehen? Das ist die große Frage.

Um die richtige Balance zwischen „machbar“ und „sinnvoll“ zu finden, würde es doch im weiten Feld der digitalen Möglichkeiten klare Zielsetzungen brauchen. Haben wir solche Zielsetzungen?

Leonhard: Das Problem der digitalen Transformation ist es, dass es eigentlich nur ein Ziel gibt, nämlich Profit und daraus resultierendes Wachstum, also das Wachsen der Einnahmen, das Anwachsen der Firmen. Wachstum als Zielsetzung ist per se nicht neu. Wenn wir aber sagen, die einzige Aufgabe von Technologie ist es, Wachstum und Profit zu erzeugen, dann kommen wir in Gebiete, wo wir lieber nicht hin wollen, nämlich das Ersetzen der Menschen durch Maschinen, die Verknüpfung der Menschen mit Maschinen, Gen-Manipulation, Supermenschen. Wir stellen fest, dass es unglaublich viel Geld verdient, wenn man Gehirne mit dem Internet verknüpft. Aber wir stellen gar nicht die Frage, ob es eine gute Idee ist. Das sollten wir aber. Es geht nicht mehr um „Ob wir können“, sondern „Ob wir sollen“. Denn in Zukunft wird Technologie unbegrenzt fähig sein. Das heißt, wenn wir alles tun, was möglich ist, dann verschwindet der Gedanke etwas Bestimmtes erreichen zu wollen. Technologie ist ein guter Diener, aber ein schrecklicher Herrscher. Wenn Technologie zu unserem einzigen Lebensziel wird, dann können wir in der Tat, wie Elon Musk das gesagt hat, in 50 Jahren mit dem Ende unserer Spezies rechnen. Dann werden wir mit Technologie verschmelzen, was im Übrigen ja auch einige vorschlagen. Aber ich denke nicht, dass dies eine gute Idee wäre.

Wenn der technologische Fortschritt auf Profit und Wachstum reduziert wird, kommen, da nicht auch ethische Fragen auf?

Leonhard: Das ist, glaube ich, der springende Punkt. Man kommt jetzt bei diesen ganzen Diskussionen immer direkt an ethische Fragen. Wir sehen jetzt ganz klar, dass in diesem traditionellen Paradigma alles, was Geld verdient, gut ist. Das ist in Deutschland so und in Amerika sehr extrem. Aber wir werden uns darauf einigen müssen, was wir eigentlich damit erreichen wollen. Das ist eine Frage der Ethik, die Frage einer digitalen Ethik, wie ich sie gerne nenne. Wenn ein Konzern zum Beispiel achtzig Prozent der Leute entlässt, weil Roboter und Automatisierung die Arbeit machen, behalten die Eigentümer dann einfach das Geld? Haben sie mehr Profit, mehr Dividenden oder zahlen sie eine Robotersteuer? Und was passiert mit den ganzen Leuten, die entlassen wurden, die auch nie wieder woanders Arbeit finden? Versorgen wir die oder lassen wir die einfach unten durchfallen? Das sind ethische Fragen, die ganz klar im Raum stehen.

Elektroschrott

ORF/Peppo Wagner Filmproduktion

Auch Elektroschrott ist zunehmend ein Problem

Der Science-Fiction Autor Ford William Gibson vertritt die Meinung, dass Technologie solange moralisch neutral wäre, solange wir sie nicht anwenden. Denken Sie auch, dass Technologien an sich moralisch wertbefreit sind?

Leonhard: Bei Technologie findet oft eine Verzerrung statt, sodass wir das Werkzeug als Master sehen. Ein Hammer hat keine Idee von dem, wofür er verwendet wird, und beschließt nicht selbst ein Haus zu bauen. Der Hammer wartet auf jemanden, der ihn benutzt und der sagt, ich will ein Haus bauen. Also das Werkzeug definiert nicht das Ende des Denkens. Und daher hat Technologie überhaupt nichts mit dem zu tun, wie wir unsere politischen, sozialen, kulturellen, religiösen Probleme lösen. Das tut Technologie nicht. Im Gegenteil, wenn wir Technologie falsch benutzen, wird sie Probleme verstärken. Das heißt also, zu welchen Zwecken wir Technologien nutzen, das liegt bei uns. Wenn es in Zukunft mittels Gentechnologie gelingen sollte, Krebserkrankungen zu verhindern, wäre das sicherlich eine gute Sache für alle. Aber wenn ich die gleiche Technologie nehme, um Supersoldaten zu züchten, dann würde ich sagen, haben wir einen Fehler gemacht. Wir können nicht absolut sagen, das ist gut oder schlecht, wir können nur sagen, die Dimension des Nutzens ist gut oder schlecht. Wenn ich es nicht mehr schaffe, durch den Tag zu gehen und Entscheidungen zu treffen, ohne bei Google nachzuschauen, ob das stimmt oder nicht, dann habe ich ein Problem. Und dann bin ich wirklich abhängig. Und Technologie ist die neue Religion in gewisser Weise, die neue Zigarette, die neue Droge. Und das könnte es potenziell gefährlich machen, wenn es dann, und das wird so sein, noch mal tausendmal so gut und so billig wird.

Interview: Peppo Wagner

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