Aus Trümmern lernen
Vor drei Jahren erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,8 das Land Nepal und riss rund 9.000 Menschen in den Tod. Doch das Erdbeben war auch eine kulturelle Katastrophe: Hunderte historische Gebäude - viele davon UNESCO Weltkulturerbe - wurden im wahrsten Sinne des Wortes dem Erdboden gleichgemacht. Um sie nachhaltig wiederaufzubauen, sollten sich Architekten und Ingenieure zuerst einmal mit der tausendjährigen Bautradition in Nepal beschäftigen, meint Robin Coningham von der UNESCO. Auf Einladung des Instituts für Kultur und Geistesgeschichte Asiens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist er derzeit zu Gast in Wien.
Altes Wissen im Bauschutt
Kasthamandap, so heißt jener Tempel, nach dem die Stadt Kathmandu benannt sein soll. Er stammt möglicherweise aus dem 7. Jahrhundert und gehört zum UNESCO Weltkulturerbe. Doch nach dem Erdbeben 2015 ist davon kaum noch etwas übrig. Mindestens ebenso tragisch ist für Robin Coningham allerdings, wenn die Bautrümmer der alten Häuser einfach vom Bagger weggeräumt werden. Aus ihnen ließe sich nämlich viel lernen, meint der britische Archäologe von der Durham Universität. „Ich muss mitansehen, wie historische Gebäude hier in Kathmandu komplett neu errichtet werden, wie ihre Fundamente abgetragen und entsorgt werden, ohne dass wir die Möglichkeit bekommen, sie wissenschaftlich zu analysieren!“
Nina Mirnig
Im Fall des Kasthamandap-Tempels hatte Robin Coningham mit einem Team die Gelegenheit, im über tausend Jahre alten Bauschutt zu graben. Er fand dabei viele Informationen über die damalige Bauweise, die auch heute hilfreich sein könnten. Beispielsweise wurde viel mit Lehmmörtel und Holz gearbeitet. Eine Kombination, die Erdbeben gut standgehalten hat, weil sie flexibler auf Bewegungen reagieren kann, als Zement oder Beton. Material, das heute oft unreflektiert verwendet wird, weil es modern ist und als stabil gilt.
“Bei einem Erdbeben hat das Gebäude in der lokalen Bautradition die Möglichkeit, sich ein Stück weit mitzubewegen, das Fundament ist relativ flexibel”, so Coningham. Währenddessen würden extrem feste Materialien wie Zement einfach brechen.
Forschung auf der Baustelle
Die alten Nepalesen hatten ihre Bautechnik perfekt auf die Umgebung abgestimmt. Bei regelmäßiger Wartung übertrifft diese lokale Bauweise alles, was moderne Architektur bisher zu leisten vermochte, so Coningham, und verweist auf die über tausendjährige Standfestigkeit des Kashtamandap-Tempels. Dass der eingestürzt ist, hatte auch mit der fehlenden Wartung zu tun, haben er und sein Team festgestellt. Früher hatten Erneuerungsrituale in der Gemeinschaft stattgefunden, doch seit den 1960er Jahren sei diese Tradition eingeschlafen.
Ö1-Sendungshinweis
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 24.10. um 12.00.
Das Wissen um die lokale Bauweise findet sich auch in alten Inschriften. In Sanskrit verfasste Texte geben beispielsweise Anleitungen zum Mixen von Lehmmörtel. Im Team von Robin Coningham arbeiten daher Expertinnen für Sanskrit neben Ingenieuren und Architekten. Gefunden haben sie dabei zum Teil bereits vergessene Handwerkstechniken.
Kulturelle Identität bedroht
Bei Befragungen stellte Coningham außerdem fest: Die Einheimischen identifizieren sich weniger mit den Tempeln in moderner Architektur als mit jenen in lokaler Bauweise. Eine gefährliche Entwicklung, die zur Entfremdung der Menschen von ihren rituellen Gebäuden führen könnte, warnt er: „Es sind die Menschen, die den Gebäuden ihre Bedeutung verleihen. Für viele Nepalesen ist es sehr wichtig, dass diese Gebäude in der Tradition ihrer Vorfahren gebaut werden.“
Nina Mirnig/ÖAW
Fast 900 historische Gebäude wurden beim Erdbeben 2015 beschädigt oder zerstört, etwa zehn Prozent sind bereits restauriert. Zwar verkündete Nepals Regierung, beim Wiederaufbau historische Materialien und Bautechniken verwenden zu wollen – auch, weil sonst der Status als UNESO-Weltkulturerbe verlorenzugehen droht.
Doch an der Umsetzung hapert es bis heute, denn das Wissen um diese Techniken ist nicht sehr verbreitet, das Geld für die Forschung darüber knapp, kritisiert Robin Coningham. Sein Forschungsprojekt Reducing Disaster Risk to Life and Livelihoods by Evaluating the Seismic Safety of Kathmandu’s Historic Urban Infrastructure wird vom Global Challenges Research Fund gesponsert. Damit fördert die britische Regierung Wissenschaftsprojekte in ärmeren Regionen der Welt.
Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft