„Das Urteil ist eine unglaubliche Einschränkung“

Pflanzenforscher aus ganz Europa protestieren gegen die strengen EU-Regeln für die neue Gentechnik: Ortrun Mittelsten Scheid vom Wiener Gregor-Mendel-Institut erklärt, warum sie das jüngste EuGH-Urteil für einen schweren Fehler hält.

science.ORF:at: Frau Mittelsten Scheid, warum sind sie gegen das europäische Gentechnikgesetz?

Ortrun Mittelsten Scheid: Wir bringen in unserem Positionspapier zum Ausdruck, dass die EuGH-Entscheidung die Präzisionszüchtung unter die harte und teure Regulierung für genetisch modifizierte Organismen stellt. Das ist aus unserer Sicht aus mehreren Gründen eine schlechte Entscheidung: Es ist wissenschaftlich nicht begründbar, es ist wirtschaftlich nicht vertretbar und es ist ökologisch extrem bedauerlich.

Pflanzenforscherin Ortrun Mittelsten Scheid

PLOS

Zur Person

Ortrun Mittelsten Scheid forscht am Gregor-Mendel-Institut der Akademie der Wissenschaften in den Bereichen Epigenetik und Chromosomenstruktur.

Was ist mit „Präzisionszüchtung“ genau gemeint?

Ortrun Mittelsten Scheid: Es geht in dem Urteil um die Anwendung der sogenannten Genschere, also der CRISPR/Cas-Technologie. Damit kann man Mutationen im Erbgut von allen möglichen Organismen, inklusive Pflanzen, an gezielten Stellen durchführen - und damit ihre Eigenschaften verändern. Bei der klassischen Züchtung löst man ebenfalls solche Mutationen aus, zum Beispiel durch Chemikalien oder durch Bestrahlung. Die passieren allerdings völlig ungezielt. Bis man die erwünschte Mutation mühsam herausgesucht und von den unerwünschten getrennt hat, muss man die Pflanzen auskreuzen. Und das dauert in der Regel sehr sehr viele Generationen.

Was wäre aus Ihrer Sicht die Alternative zu den derzeit geltenden Regelungen?

Ortrun Mittelsten Scheid: Es gibt bereits Prüfverfahren für jede neue, durch klassische Züchtung erzeugte Pflanzensorte. Diese Prüfungen würden auch beim Genome Editing völlig ausreichen, sofern das Ergebnis von einer klassischen Mutation nicht zu unterscheiden ist. Wenn größere Änderungen im Erbgut gemacht werden - zum Beispiel das Einfügen neuer Gene, dann sollte man eine Einzelfallprüfung erwägen.

Wo ist die Grenze zwischen diesen beiden Fällen?

Ortrun Mittelsten Scheid: Ein klare Grenze zu ziehen ist schwierig, da muss man sich auf Konventionen einigen. Im zweiten Fall würde es wohl auch darauf ankommen, welche Herkunft das eingebaute Gen hat.

Angenommen, die einfachen Genschere-Mutationen wären von der GVO-Richtlinie ausgenommen: Sollte man zum Beispiel einen so behandelten Weizen kennzeichnen, wenn er auf den Markt kommt?

Ortrun Mittelsten Scheid: Das hielte ich für höchst überflüssig. Denn sonst müsste man die meisten Produkte, die wir in Bioläden oder auf Biobauernhöfen finden, genauso kennzeichnen. Denn auch diese sind ursprünglich einmal durch chemische Behandlung oder Bestrahlung entstanden.

Kann man mit heutigem Stand der Forschung ausschließen, dass unerwünschte Nebeneffekte beim Genome Editing entstehen?

Ortrun Mittelsten Scheid: Ausschließen kann man sie nicht. Aber man kann nachschauen, wo und wie sie passiert sind. Die Genomsequenzierung ist ein Routinevorgang, den man natürlich auch nach der Anwendung der Genschere einsetzen könnte.

Weizenähren

Roberto Papa, Università Politecnica delle Marche

Forscher haben mit Hilfe der Genschere einen gegen Mehltau resistenten Weizen gezüchtet - in China

Die Befürworter der neuen Gentechnik betonen, die künstlich herbeigeführten Mutationen seien „naturident“ - ist das wirklich so?

Ortrun Mittelsten Scheid: Die Unterscheidung naturident oder nicht naturident ist in meinen Augen völlig überflüssig. Wenn Sie zwei Äpfel von einem 20 Jahre alten Apfelbaum vergleichen, werden die nie ident sein, weil im Laufe des Wachstums des Baumes auch spontane Mutationen auftreten, die dann auch in den Früchten und Samen zu finden sind. Darauf basiert ja die klassische Züchtung, es geht um Auswahl natürlicher genetischer Vielfalt. Die Produkte sind alle natürlich, aber niemals naturident.

Sie schreiben in Ihrem Positionspapier, mit Hilfe der neuen Gentechnik könnte man hitze- und trockenresistente Nutzpflanzen züchten, die dem Klimawandel widerstehen. Da wird es wohl nicht bei den quasi-natürlichen Mutationen bleiben, oder?

Ortrun Mittelsten Scheid: Komplexe Eigenschaften wie Trockenresistenz sind natürlich nicht nur durch einzelne Gene bedingt. Deshalb wird die Veränderung eines Gens auch keine qualitativ neuen Eigenschaften hervorrufen. Aber es wurden auch mit einzelnen Mutationen bereits große Fortschritte erreicht. Ein Beispiel dafür ist die Gerste, sie trägt im Erbgut ein Gen namens MLO: Ist das Gen funktionsfähig, ist die Pflanze anfällig für Mehltauinfektionen. Ist das Gen zerstört, kann der Mehltau die Pflanze nicht befallen. Solche resistente Sorten hat man in der Gerste durch klassische Züchtung erreicht. Beim Weizen, der drei Genome besitzt, ist das ungleich schwieriger: Wenn sie das Gen durch zufällig erzeugte Mutationen zerstören und diese Eigenschaften in einer Pflanze vereinen wollen, ist das ein Projekt von vielen vielen Jahren und unglaublich hohen Kosten. Mit der Genschere können Sie alle drei Kopien gleichzeitig ausschalten, und zwar mit einem Bruchteil des Arbeitsaufwandes. Das ist auch geschehen: Wir haben jetzt mehltauresistenten Weizen.

In welchem Land wurde das gemacht?

Ortrun Mittelsten Scheid: In China. Sollte dieser Weizen in Europa angebaut werden, müsste er die strenge GVO-Regulierung passieren.

Ich möchte nochmals auf die erwähnte Trockenresistenz zurückkommen. Was wäre notwendig, um diese künstlich herzustellen: die Einfügung neuer Gene oder gar neuer Genkomplexe?

Ortrun Mittelsten Scheid: Unter Umständen ja, wobei auch die Addition von einzelnen Mutationen zu einem ähnlichen Ziel führen könnte. Um das zu tun, müsste man natürlich vorher die entsprechenden Gene identifiziert haben - und wissen, wie sie zusammenwirken.

Wie wirkt sich die EuGH-Entscheidung Ihrer Ansicht nach auf den Markt aus?

Ortrun Mittelsten Scheid: Sie ist extrem schlecht für die kleinen Betriebe. Wenn es bei der jetzigen Gesetzgebung bleibt, können sich nur die großen Konzerne auf solche Zulassungsverfahren einlassen. Die Kosten sind völlig außerhalb der Möglichkeiten von Kleinbetrieben. Das wird dazu führen, dass sich die Firmen nur auf die wichtigsten Nutzpflanzen konzentrieren, also Weizen, Gerste, Mais, Reis, Baumwolle und Soja. Gäbe es hingegen eine normale Sortenprüfung, dann würde sich das Spektrum der Betriebe erweitern - und die Methoden könnten auch auf andere Pflanzen angewandt werden. Zum Beispiel solche, die nur lokal interessant sind oder nur einen kleinen Marktanteil haben. Das EuGH-Urteil ist politisch und wirtschaftlich eine unglaubliche Einschränkung.

Andererseits: Die Lizenzgebühren für gentechnische Verfahren könnten sich Kleinbetriebe ohnehin kaum leisten, auch wenn die Prüfverfahren einfacher wären.

Ortrun Mittelsten Scheid: Fragen des Patentrechts muss die Politik entscheiden. Ganz ohne Geld lassen sich neue Sorten auch auf klassischem Weg nicht erzeugen.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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