Ein Museum zum Mitdenken

Ständestaat oder Austrofaschismus? Nebst anderem haben ideologische Fragen wie diese ein Haus der Geschichte Österreichs (HdGÖ) jahrzehntelang verhindert. Nun öffnet es und überlässt die Antworten zum Teil den Besuchern. Ein Interview mit HdGÖ-Direktorin Monika Sommer.

Die Idee zu einem Museum österreichischer Geschichte ist fast so alt wie die Republik selbst – schon 1919 tauchten erste Überlegungen auf. Ab den 1980er Jahren wurde dann wieder ernsthaft darüber debattiert – die wechselnden Bundesregierungen aber konnten sich nicht über Namen, Ort, Budget und Inhalt einigen.

Rechtzeitig zum 100. Geburtstag der Republik öffnet das Haus der Geschichte Österreich, noch dazu an einem selbst sehr geschichtsträchtigen Ort, in der Hofburg auf dem Heldenplatz in Wien. Die Eröffnungsausstellung heißt „Aufbruch ins Ungewisse - Österreich seit 1918". Ab Samstag ist sie zu sehen.

science.ORF.at: Der Leiter des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin, Raphael Gross, meint, dass nationale Geschichtsmuseen Orte sein sollen, die die politische Urteilskraft stärken. Frau Sommer, stimmen Sie dem zu?

hdgö-Direktorin Monika Sommer

APA - Hans Punz

Museumsdirektorin Monika Sommer

Monika Sommer: Ja, das ist eine ihrer Kernaufgaben, genauso wie die historische und politische Bildung. Geschichtsmuseen müssen sich im 21. Jahrhundert als Diskussionsorte und als soziale Orte definieren. Menschen sollen zusammenkommen und auf Augenhöhe und im Angesicht historischer Dokumente ins Gespräch kommen.

Österreich hat eine sehr spezielle Diskussions- und Streitkultur: Ist das vielleicht mit ein Grund, warum es so lange gedauert hat, bis dieses Museum Wirklichkeit geworden ist?

Sommer: Ich denke, die Vorstellung von der Institution Museum hat sich radikal verändert: Sie ist nicht mehr die Institution, die die eine Interpretation der Geschichte festschreibt, sondern der Ort, wo die Interpretation ausverhandelt werden kann. Das Museum ist ein Verhandlungsort geworden, und darin sehe ich auch die Chance des HdGÖ. Es wird sicher zum Teil ein Reibebaum werden, aber das ist seine Aufgabe: produktiv zu sein für die österreichische Gesellschaft.

Eröffnungsfest am 10. November

Am 10. November öffnet das Haus der Geschichte Österreich (Neue Burg, Heldenplatz) mit der Ausstellung „Aufbruch ins Ungewisse - Österreich seit 1918". Das Museum kann am Eröffnungstag ab 11.00 Uhr bei freiem Eintritt besucht werden, gleichzeitig findet ein Festakt zur Eröffnung im Camineum der Österreichischen Nationalbibliothek am Josefsplatz statt, das live auf dem Heldenplatz übertragen wird. Um 13.00 Uhr startet dort ein Festprogramm mit Künstlern wie Ernst Molden und Sibylle Kefer, Harri Stojka, klezmer reloaded, Mieze Medusa und Kreisky. Freier Eintritt auch am 11. und 12. November von 10.00 bis 18.00 Uhr.

In einem Museum kann man dennoch nicht nur diskutieren, Sie zeigen ja auch Objekte. Wie stellen Sie diese Reibeflächen buchstäblich aus?

Sommer: Wir involvieren die Menschen, befragen sie, man kann Meinungen über die Webplattform einbringen, eigene Bilder hochladen und somit auch die Ausstellung verändern, denn diese Bilder werden auch in der Ausstellung gezeigt. Und natürlich vertrauen wir auch auf die Aura der Objekte, die so unterschiedlich interpretiert und gelesen werden können. Alleine wenn ich an das Waldheim-Pferd von 1986 denke – das größte Objekt, das wir ausstellen: Da haben meine Erfahrungen gezeigt, dass sich schnell Emotionen entzünden und Gespräche eröffnen. Wir bieten aber auch ein breites Diskussionsprogramm, schon bei der Eröffnung feiern viele Künstler und Künstlerinnen mit uns. Beim Veranstaltungsformat „Nachgefragt“ laden wir Persönlichkeiten ein, ihre Perspektive auf das 20. Jahrhundert zu erzählen - und somit auch unseren Vorschlag zu ergänzen oder zu widersprechen.

Das Waldheim-Pferd von 1986

Lukas Wieselberg, ORF

Das Waldheim-Pferd von 1986

Die Frage, wie man die Jahre zwischen 1933/34 und 1938 nennt, ist eine der umstrittensten in der österreichischen Geschichtsschreibung. Sie nennen die Ära „Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur“ – warum?

Sommer: Wir haben den Begriff „Kanzlerdiktatur“, den der Historiker Helmut Wohnout geprägt hat und der in der Wissenschaft große Akzeptanz gefunden hat, mit unserer Peer Group getestet und sind zu dem Schluss gekommen, dass die jungen Leute durch den Begriff verwirrt werden. Sie haben gesagt, sie verwechseln das mit dem Reichskanzler, und damit wäre die klare Unterscheidung zwischen den beiden unterschiedlichen Diktaturen verlorengegangen. Unser Ziel ist es festzuhalten, dass 33/34-38 eine Diktatur war und die beiden wesentlichen Akteure Dollfuß und Schuschnigg waren. Es ist aber eine andere Diktatur als der nationalsozialistische Terror. Deswegen der Begriff „Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur“.

Den Sie aber in einer Installation der Ausstellung selbst kritisieren ...

Sommer: Ja, auch dieser Begriff hat Nachteile. Man könnte glauben, wir setzen Dollfuß und Schuschnigg gleich. Der Punkt ist: In einem Museum muss man etwas zuspitzen und auf die Tafeln schreiben. Der Begriff ist unser Diskussionsvorschlag, und wir hoffen, dass wir damit auch die Wissenschaft ein Stück weitertreiben, indem man vielleicht einen noch besseren Begriff dafür findet.

Das Museum hat recht wenig Platz, hier dürfen maximal 240 Leute auf einmal hinein. Haben Sie nicht Angst, dass bei entsprechendem Erfolg lange Warteschlangen entstehen?

Sommer: Das ist so bei großen Veranstaltungen, da muss man warten. Es zahlt sich aber aus zu warten, um dann die Möglichkeit zu haben, die Ausstellung in konzentrierter Atmosphäre anschauen zu können. Es ist jetzt eine gute räumliche Lösung innerhalb der vorgegebenen Rahmenbedingungen gelungen. Ich bin auch sehr zufrieden, was unsere Partner, BWM Architekten, geschaffen haben: nämlich einerseits die Prunkstiege, diese Prachtstiege des Historismus, zum Erlebnis zu machen, und andererseits in der Eröffnungsausstellung einen gestalterischen Bruch zu setzen, wo wir klar im Hier und Jetzt sind.

Songcontest-Siegerkleid von Conchita Wurst

Lukas Wieselberg, ORF

Song-Contest-Siegerkleid von Conchita Wurst

Im DHM gibt es zwei riesige Ebenen für rund 1.500 Jahre deutscher Geschichte. Nach welchen Kriterien haben Sie die Themen auf vergleichsweise engem Raum ausgewählt?

Sommer: Wir haben sieben Themenschwerpunkte, die einen Schlüssel zum Verständnis der Entwicklung Österreichs im 20. Jahrhundert liefern und sich aus der Auseinandersetzung mit den Gründungsjahren der Ersten Republik ergeben haben. Im ersten Themenschwerpunkt mit dem Titel „Hoch die Republik“ sind wir weniger auf den Zerfall der Habsburgermonarchie eingegangen als auf die Chancen und Herausforderungen dieser Gründungsjahre. Dabei haben sich viele positive Aspekte gezeigt, die uns vielleicht zu wenig präsent sind, denken wir an die innovative Sozialgesetzgebung, an die Verfassung etc. Ein zweiter Teil ist eine Chronologie des Jahrhunderts, wo wir die „Macht der Bilder“ thematisieren. Denn Bilder sind das Medium, das sich in diesem Jahrhundert enorm demokratisiert hat. Auch die anderen Themenschwerpunkte haben sich aus der Analyse der Gründungsjahre abgeleitet: Es geht um Wirtschaft, den Weg in die Diktaturen und ihre langen Nachwirkungen bis jetzt, die Fragen „Was heißt Österreich?“ und „Was heißt es, dass jeder Staatsbürger gleich ist?“, wie es in der Verfassung festgeschrieben ist. Wo sind Gruppierungen, die um ihre Gleichstellung erst kämpfen müssen? Man sieht anhand dieses Zugangs, dass Zeitgeschichte nicht vergangen ist, sondern jetzt ist. Sie stellt Fragen, die unsere Gegenwart prägen und mit denen wir uns beschäftigen müssen, um auch die Zukunft zu gestalten.

Bei Geschichtsmuseen gibt es das Spektrum von „Erfolgsgeschichte nacherzählen“ bis zu „nationale Mythen dekonstruieren“: Wo verorten Sie die Ausstellung in diesem Spektrum?

Sommer: Das ist immer eine Gratwanderung. Wir leben in einem der reichsten Länder weltweit, das muss man auch herausarbeiten. Es gibt Leistungen, die wir positiv erwähnen und auf die man stolz sein kann, und es gibt Themen, wo Österreich Schuld auf sich geladen hat. Ich würde sagen: Kommen Sie und schauen Sie sich diese Gratwanderung selbst an!

Zuletzt hat Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) bei einer Pressekonferenz den Vorschlag gemacht, das Museum als „Haus der Republik“ weiterzuführen. Wie glücklich sind Sie mit dem Titel?

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 7.11., 7.00 Uhr.

Sommer: Bundesminister Blümel hat selbst das Wort „Arbeitstitel“ verwendet. Ich bin sehr froh, dass bei der Pressekonferenz gemeinsam mit Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ein Stein ins Rollen gekommen ist. Vor 18 Monaten, als ich hier angetreten bin, war die Zukunft dieser Institution letztlich unklar, sowohl was die Finanzierung als auch was den Ort betrifft. Im Regierungsprogramm stand das Museum mit Evaluation drinnen, das war auch gut so, und nun gibt es ein klares Bekenntnis zu der Institution, dafür bin ich dankbar. Wir brauchen mehr Platz, klare Rahmenbedingungen und auch ein klar definiertes Budget, das vergleichbar ist mit internationalen Häusern der Geschichte, beispielsweise dem Haus der europäischen Geschichte in Brüssel. In diese Liga sollten wir uns einordnen.

Sie betonen, dass es sich beim Begriff „Haus der Republik“ um einen „Arbeitstitel“ handelt?

Sommer: Ich möchte zuerst über Struktur, Rechtsform und Rahmenbedingungen sprechen und dann über den Namen für dieses Haus. Wir eröffnen nun mit dem Namen, der im Bundesmuseumsgesetz verankert ist, nämlich „Haus der Geschichte Österreich“.

Eingangsbereich mit Logo des Hauses der Geschichte Österreich

Lukas Wieselberg, ORF

Eingangsbereich der Ausstellung

Einige Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats haben den Namen gleich kritisiert, haben Sie gegen diese Kritik etwas einzuwenden?

Sommer: Es gab im Vorfeld einen internationalen Beirat, der sich auf den Namen „Haus der Geschichte Österreich“ verständigt hat. Ich denke „Haus der Republik“ ist ein Arbeitstitel, der uns in den Debatten der nächsten Wochen sicher weiterbringen wird, aber für mich ist das der Schlusspunkt der Diskussion. Rahmenbedingungen schaffen, innerhalb derer wir arbeiten können, und dann dazu auch den Namen finden: Das ist unser Programm. Daran werde ich mit allem Elan mitarbeiten.

Zu den Rahmenbedingungen: Eine Form wie jene des Nationalfonds könnten Sie sich vorstellen?

Sommer: Es gibt viele mögliche Rechtsformen, es gibt wissenschaftliche Anstalten öffentlichen Rechts wie die Bundesmuseen es sind, es gibt Stiftungen wie etwa das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, der Nationalfonds ist auch ein mögliches Modell. Das sind die Themen der nächsten Wochen.

Bevorzugen Sie eines der Modelle?

Sommer: Nein, weil ich mich nun auf die Eröffnung konzentriere und freue. Ich bin sehr stolz darauf, was wir in unfassbar kurzer Zeit vollbracht haben. Ich bin vor 18 Monaten angetreten und war alleine, ohne Team, ohne Sammlung. Nur durch die Zusammenarbeit mit einem hervorragenden Team und mit dem starken Rückenwind, den wir aus der österreichischen Museumslandschaft erhalten haben, konnte diese Republikausstellung zustande kommen.

Kalendereintrag von Sigmund Freud

Haus der Geschichte

Kalendereintrag von Sigmund Freud vom November 1918

Letzte Frage: Gibt es unter den rund 1.900 Objekten, die Sie mittlerweile erworben haben, ein Lieblingsobjekt?

Sommer: Ich bin eine Museumsfrau und daher von vielen Objekten emotional berührt. Ein besonderes Highlight ist für mich der Kalender von Sigmund Freud zum November 1918 - eine internationale Leihgabe aus der Library of Congress, die zum ersten Mal in Österreich gezeigt wird. Freud bringt dabei auf einem einzigen Kalenderblatt Weltgeschichte, österreichische Geschichte und auch seine Familiengeschichte zusammen. Er hat immer die Ausrufungen der unterschiedlichen Republiken in Europa eingetragen, und so auch die österreichische vom 12. November - und zusätzlich notiert, dass sein Sohn Martin in Kriegsgefangenschaft ist. Das ist ein Blatt, das mich persönlich sehr anspricht. Aber das ist ja das Spannende an der Museumsarbeit, dass jeder und jede anders auf Objekte reagiert.

Interview: Lukas Wieselberg, Ö1 Wissenschaft

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