Das Zwangsarbeiterlager Graz-Liebenau

Im Lager Graz-Liebenau wurden während der NS-Zeit tausende Zwangsarbeiter untergebracht. Im April 1945 war es Zwischenstation ungarischer Juden auf den Todesmärschen ins KZ Mauthausen. Eine Ausstellung widmet sich der Geschichte, die lange begraben lag.

Das Lager mit der Nummer römisch fünf im Süden von Graz war während des Zweiten Weltkriegs das größte Zwangsarbeiterlager im Grazer Stadtgebiet. Bis zu 5.000 Menschen konnten hier untergebracht werden. Viele von ihnen waren noch Jugendliche, als sie in das Lager kamen, nur die wenigsten älter als 30, erklärt Barbara Stelzl-Marx, die Kuratorin der Ausstellung und Leiterin vom Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz: „Während der NS-Zeit war Graz von einem Netz von größeren und kleineren Zwangsarbeiterlagern übersäht, weil Zwangsarbeiter mit dem Kriegsfortschritt für die Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft immer wichtiger geworden sind.“

Modell des Lagers Graz-Liebenau

Wolfgang Strauß

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichten auch die Ö1-Journale, 14.11., 12:00 Uhr.

Buchhinweis

„Lager Liebenau. Ein Ort verdichteter Geschichte“, Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Leykam Buchverlag.

Ein Viertel der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Liebenau stammte aus der Sowjetunion, der Rest aus Frankreich, dem „Protektorat Böhmen und Mähren“, Italien, Kroatien und Griechenland. „Die zivilen Zwangsarbeiter sind zwangsverschleppt worden, waren in der Hand des Feindes und sind je nach Bedarf in den unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt worden", so Stelzl-Marx.

„Hut ab, du Schurke“

Die meisten arbeiteten bei Steyr-Daimler-Puch auf der anderen Seite der Mur. Andere wurden in der Land- und Forstwirtschaft, auf Baustellen und in anderen Industrien eingesetzt. Ihren Alltag versucht die Ausstellung „Lager Liebenau - Ein Ort verdichteter Geschichte“ nun nachzuerzählen. „Zu sehen sein wird etwa ein Deutsch-Russisch-Wörterbuch von einem sowjetischen Zwangsarbeiter, das auch die Lagerterminologie widerspiegelt. Zum Beispiel hat er darin Wörter wie ‚Hut ab, du Schurke‘ und ‚Stillgestanden‘ vermerkt. Das ist ein Zeichen dafür, dass die wichtig waren für den Alltag hinter Stacheldraht", erzählt Stelzl-Marx.

Seite aus dem Deutsch-Russischen-Wörterbuch

AdBIK, Ivan Anosov

Seite aus dem Deutsch-Russischen-Wörterbuch

Unterschiedlich große Häufchen aus Weizenkörnern machen wiederum deutlich, dass die Zwangsarbeiter je nach Herkunft unterschiedlich behandelt und versorgt wurden. „Ganz weit unten standen sowjetische Zwangsarbeiter bzw. ‚Ostarbeiter‘. Sie haben eine weitaus schlechtere Verpflegung bekommen als höher gestellte Zwangsarbeiter aus anderen Ländern, die manchmal sogar in derselben Baracke untergebracht waren. Das war typisch für die Situation im Dritten Reich", so die Historikerin.

Todesmärsche: Zwischenstation Liebenau

Zum dunkelsten Kapitel der Lagergeschichte gehören die Todesmärsche tausender ungarischer Juden am Ende des Krieges im April 1945, die in das KZ Mauthausen gebracht wurden. Graz-Liebenau war eine von zahlreichen Zwischenstationen auf dem Weg durch das Burgenland, die Steiermark und Oberösterreich, mindestens 34 Personen wurden in dem Lager erschossen. Eine Person etwa, weil sie verbotenerweise nach einer Decke griff, so Stelzl-Marx, andere wurden getötet, weil sie zu schwach waren, um weiterzumarschieren. Einige Kilometer weiter am Präbichl im Eisenerz wurden weitere 200 ungarische Juden erschossen.

Ungarische Juden während des Todesmarsches in Hieflau am 8. oder 9. April 1945. Das Foto wurde im Geheimen von einer Dachluke aus aufgenommen.

CLIO, Nachlass Walter Dal-Asen

Ungarische Juden während des Todesmarsches in Hieflau am 8. oder 9. April 1945. Das Foto wurde im Geheimen von einer Dachluke aus aufgenommen.

„In unserer Ausstellung zeigen wir einen Schuh von einem ungarisch-jüdischen Opfer, der später im Eisenerz erschossen wurde.“ Die Schuhe der Opfer wurden vom Enkel eines Schuhmachers aus der Umgebung eingesammelt, da Nägel zu Kriegsende wertvoll waren, so die Historikerin. „Die Schuhe sind jahrzehntelang auf dem Dachboden des Schuhmachers gelegen und sind nun auch im Museum in Eisenerz zu finden. Wir zeigen einen Schuh als Symbol für die Todesmärsche der ungarischen Juden in das KZ Mauthausen."

Grabungsarbeiten bringen Neues zutage

Für die Taten im Lager Liebenau wurden letztlich nur drei Personen im Jahr 1947 von einem britischen Militärgericht verurteilt - zwei zu Tode und einer zu einer Haftstrafe von drei Jahren. Danach aber begann Gras über die Sache zu wachsen - im wahrsten Sinne des Wortes. „Es war dann ein Areal für Wohnhäuser. Es ist dort auch ein Kindergarten gebaut worden, in der Nähe eine Schule usw.", erzählt Stelzl-Marx.

Erst die Bauarbeiten für das Murkraftwerk haben die Geschichte aus der NS-Zeit vor wenigen Jahren zum Vorschein gebracht, und damit auch einige Überreste wie Löffel. „In der Ausstellung zeigen wir einen Löffel, der aus einer Metalldose hergestellt wurde. Da sieht man, dass es damals auch wirklich eine Mangelware war, und dass ein Löffel wichtig war, um die Speisen dann zu sich nehmen zu können.“ Die Fundstücke werden nun zum Teil ebenfalls in der Ausstellung im GrazMuseum gezeigt und diskutiert - eröffnet wird am Mittwoch, 14. November 18 Uhr.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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