70 Prozent der Wirbeltiere sind verschwunden

Die Zerstörung von Lebensräumen verändert die Ökosysteme stark - auch hierzulande, wie eine Bestandsaufnahme zeigt: Österreich hat in den vergangenen 30 Jahren rund 70 Prozent seiner Wirbeltierbestände eingebüßt.

Über dieses Ergebnis einer noch unveröffentlichten Studie berichtete der Biologe Nikolaus Szucsich vom Naturhistorischen Museum (NHM) Wien. Mit „DNA-Strichcodes“ will man die Artenverbreitung nun erfassen, um diesem „katastrophalen Trend“ entgegenzuwirken.

Derzeit gäbe es nur episodische Berichte zum Ausmaß des Artenschwundes, sagte Szucsich vor Journalisten. Neben der neuen Studie zu den Wirbeltierverlusten in Österreich wurde zum Beispiel in Deutschland ein Rückgang der Insekten-Biomasse um 75 Prozent dokumentiert. Ähnliches sei aus den Tropen bekannt. Was aber fehle, sei ein umfassendes Bild, wie es um die Biodiversität weltweit und auch hierzulande steht.

Tagung

Am 6. und 7. Dezember treffen sich Forscher aus ganz Österreich zur „5. ABOL-Jahrestagung“ im NHM. In diesem Rahmen werden sie über bisherige Fortschritte in dem seit 2014 laufenden Projekt diskutieren und sich über neue Methoden und deren Standardisierung austauschen.

„Barcode of Life“

Forscher arbeiten deshalb im Projekt „International Barcode of Life“ daran, für möglichst alle der weltweit bis zu 30 Millionen Pflanzen-, Tier- und Pilzarten einen „DNA-Strichcode“ zu erfassen, durch den sie schnell und sicher identifizierbar sind, erklärte Elisabeth Haring vom NHM Wien, die das „Austrian Barcode of Life“-Projekt leitet.

Ziel ist es, die geschätzt rund 75.000 österreichischen Arten zu „barcoden“. „Die Zeit zwischen den Forschungsergebnissen, daraus erarbeiteten Vorschlägen und der anschließenden politischen Umsetzung ist derzeit zu groß, der Biodiversitäts-Verlust läuft uns so davon“, sagte Haring. Teilweise würden die Arten schneller aussterben, als man die Vielfalt erfassen kann.

Mangel an Daten

„Es herrscht ein massiver Mangel an langfristigen, hochwertigen und systematisch zusammengetragenen Daten zum Biodiversitäts-Stand“, erklärte Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien. Diese zu erheben sollte in höherem Ausmaß gefördert werden. „Das braucht es, um die Qualität und Quantität des globalen Verlusts der Artenvielfalt zu erfassen und Maßnahmen dagegen ergreifen zu können.“

Wenn der Mensch seinen Einfluss auf die Biosphäre nicht reduziere, müsse er mit einem katastrophalen Zusammenbruch rechnen, so der Wissenschaftler. Langfristig könne solch ein unausgewogenes System mit derartigen Verlusten nicht existieren.

Wälder am ökologischen Limit

Bei den Insekten hängt die Bestäubungsintensität zum Beispiel mit der Populationsgröße zusammen. Wenn drei Viertel dieser Tiere verschwinden, werden umso weniger Blüten befruchtet. Durch die Verschleppung von Schädlingen und Krankheiten sowie den Klimawandel wird etwa auch das Anpassungsvermögen des Waldes überfordert. Borkenkäferepidemien und das Eschentriebsterben seien zum Beispiel Folgen davon. Für den Menschen bedeutet dies, dass die Wälder unter anderem weniger Kohlenstoff aufnehmen und ihre Schutzfunktion vor Lawinen und Muren schwindet.

Die Experten gaben auch eine Empfehlung ab: Man müsse dem Verlust und der Zerstörung der Ökosysteme massiv entgegenwirken. „Vielen Menschen ist nicht bewusst, dass durch den Biodiversitätsverlust nicht nur das Material für die schönen Naturfilme verloren geht, sondern die Ökosysteme für uns einen viel größeren Wert besitzen“, betonte Haring.

science.ORF.at/APA

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