100 Empfehlungen gegen Antisemitismus

Ein Zentrum für Antisemitismusforschung in jedem Land und dazu einen offiziellen Beauftragten gegen Antisemitismus. Beides gibt es in Österreich derzeit nicht. Beides wird im heute präsentierten Handbuch gegen Antisemitismus empfohlen.

Wissenschaftler und jüdische Organisationen aus Österreich, Europa und den USA treffen heute bei der Konferenz über Antisemitismus und Antizionismus auf Bundeskanzler Sebastian Kurz, Bildungsminister Heinz Faßmann und Staatssekretärin Karoline Edtstadler. Zu Beginn der Konferenz präsentierte man ein Handbuch mit mehr als 100 Handlungsanleitungen gegen Antisemitismus, die das Ergebnis einer internationalen Fachtagung an der Universität Wien vergangenen Februar sind.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 21.11. um 12:00

Insgesamt werden im Handbuch mehr als 100 konkrete Handlungsanleitungen gegen Antisemitismus vorgestellt. Es richtet sich an Politik, Wirtschaft, Bildungsinstitutionen, religiöse Gemeinschaften, Nichtregierungsorganisationen und die Wissenschaft und beinhaltet sowohl kurz- als auch langfristige Strategien. „Antisemitismus hat eine lange Geschichte, die Arbeit wird Generationen dauern“, sagt Dina Porat von der Tel Aviv University und Chefhistorikerin der Holocaust Gedenk- und Forschungsstätte Yad Vashem. Sie ist eine der Autorinnen des Handbuchs. Herausgegeben haben es Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von Universitäten aus Österreich, Israel und den USA, sowie der European Jewish Congress.

Strafen für Internetplattformen

Befeuert werde der Antisemitismus zunehmend durch das Netz, vor allem durch soziale Medien. „Das darf nicht ignoriert werden. Denn das Netz hat besonders viel Einfluss auf die jungen Generationen”, so Dina Porat. Das Handbuch sieht in dem Fall den Gesetzgeber am Zug. Auf internationaler Ebene müsse man Google, Twitter, Facebook und Co. stärker in Verantwortung nehmen. Diese sollten antisemitische Inhalte innerhalb von 24 Stunden entfernen müssen: „Sonst müssen sie bestraft werden.“

Antisemitismus ist ein Chamäleon, das je nach politischem Umfeld sein Gesicht ändert. Man kennt ihn von rechts, religiös, aktuell meist islamistisch, motiviert und von links. Ein Beispiel für die letzten beiden Gruppen ist der israelbezogene Antisemitismus. Der tritt etwa in Form der BDS-Bewegung auf, die Israel wirtschaftlich boykottiert und dem Staat mitunter die Existenzberechtigung abspricht.

Neu: Antisemitismus-Leugnung

„Ein neuerer Trend ist, zu leugnen, dass man Antisemit ist – obwohl man antisemitische Inhalte veröffentlicht bzw. sich antisemitisch äußert“, so Dina Porat. Man tarne seinen Antisemitismus entweder als Meinung oder als Tatsache - obwohl man eigentlich Verschwörungstheorien teile. Ein aktuelles Beispiel sei die Welle an antisemitischen Hasspostings auf rechten Seiten im Netz, die vor wenigen Tagen auf den Besuch des ungarisch-jüdischen Mäzens George Soros bei Bundeskanzler Sebastian Kurz folgte. Im April sprach FPÖ-Klubchef Johann Gudenus von „stichhaltigen Gerüchten“ rund um Soros - nach Ansicht von Kritikern eine Verschwörungstheorie mit antisemitischen Untertönen.

Antisemitismus-Leugnung sei aber nicht nur ein Phänomen von rechts, so Dina Porat. „Ein Beispiel dafür ist auch die oppositionelle, linke Labour-Party in Großbritannien. Sie streitet ab, antisemitisch zu sein.“ Was politische Funktionäre betrifft, die sich antisemitisch äußern, ist das Handbuch deutlich. Man fordert deren Ausgrenzung: „Personen, die sich öffentlich antisemitisch äußern, haben in öffentlichen Funktionen nichts zu suchen“, sagt Dina Porat.

Das englischsprachige Handbuch gegen Antisemitismus ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Konferenz in Wien im vergangenen Februar. Mehr als 100 Forscherinnen und Forscher aus aller Welt waren daran beteiligt.

Tanja Malle, Ö1-Wissenschaft

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