„Ein Schlag ins Gesicht“

Die angebliche Geburt von gentechnisch modifizierten Babys in China sorgt weiter für heftige Kritik. Der Bioethiker Ulrich Körtner hält dies für einen „Schlag ins Gesicht der Wissenschaftsgemeinde“. Nun sei die Politik gefordert, rechtliche Standards zu schaffen.

science.ORF.at: Herr Körtner, wie es aussieht, sind in China die ersten genmanipulierten Babys auf die Welt gekommen. Was sagen Sie dazu?

Ulrich Körtner: Wenn die Berichte stimmen sollten, dann halte ich dieses Experiment ethisch für höchst bedenklich. Erstens, weil der Einsatz von Genscheren wie CRISPR/Cas9 auch im Tierversuch noch keineswegs hundertprozentig sicher ist. Es gibt Berichte darüber, dass der Einsatz dieser Techniken zu unerwünschten Nebeneffekten führen könnte. Zweitens wissen wir noch zu wenig über die Wechselwirkung einzelner Gene.

Porträtfoto von Ulrich Körtner

Ulrich Körtner

Zur Person

Ulrich H.J. Körtner ist Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin und am Institut für Systematische Theologie und Religionswissenschaft der Evangelisch-Theologischen Fakultät, Universität Wien, tätig.

Es ist nicht auszuschließen, dass die Manipulation an einem Gen auch Auswirkungen auf andere Gene hat. Zwar hat man schon Forschungen an menschlichen Embryonen unternommen, aber nach meinem Wissen wurde auf diese Weise noch nie eine Schwangerschaft herbeigeführt. So etwas nun am Menschen zu testen, wo noch dazu auch Kinder zur Welt kommen - das halte ich für einen unethischen Menschenversuch.

Gestern begann in Hongkong eine internationale Konferenz, die sich mit Fragen der Genom-Editierung beschäftigt. Dass nun gerade diese Nachricht veröffentlicht wird, ist eigentlich ein Schlag ins Gesicht der Wissenschaftsgemeinde. Die Forschung ringt seit Jahren mit der Frage, ob man sich auf ein Moratorium einigen wird - das heißt: Wie lange man zuwarten sollte, um die Technik in eingeschränktem Maße am Menschen zu erproben. Wenn einzelne Forschungsteams diese Entscheidung treffen, ist das ein fatales wissenschaftspolitisches Signal. Solche Fragen sind so weitreichend, dass sie auf globaler Ebene diskutiert werden müssen.

Zum Rechtlichen: Eingriffe in die menschliche Keimbahn sind in Österreich verboten, doch international ist diese Frage sehr unterschiedlich geregelt. Selbst in Europa gibt es große Unterschiede. Was bräuchte es, um diese Debatte auf ein internationales rechtliches Fundament zu stellen - vor allem, um so ein Vorpreschen einzelner Teams zu verhindern?

Ulrich Körtner: Diese Frage ist auch für mich schwer zu beantworten. Anscheinend genügt es nicht, wenn sich Fachgesellschaften auf ethische Standards verständigen, also Richtlinien, die im Sinne der Selbstverpflichtung wirken sollen, wenn diese dann von einzelnen ohnehin wieder unterlaufen werden. Es ist auch schwer vorstellbar, dass man zu einem rechtlich verbindlichen Regelwerk auf internationaler Ebene kommen wird. Zwar bemüht man sich, rechtliche Grundsätze für Biomedizin auf Ebene der UNO oder der UNESCO zu verankern. Doch das ist „soft law“: UNO und UNESCO sind natürlich keine Weltregierungen, sie können keine verbindlichen Bestimmungen für einzelne Staaten festlegen, die bei Nichtbefolgung zu Prozessen vor irgendeinem Weltgericht führen.

Zumindest halte ich es notwendig, dass man sich auf Ebene der EU Gedanken macht, wie man zu einer Vereinheitlichung kommen kann. Denn über EU-Richtlinien kann auch nationales Recht gesteuert werden. Ich will mir da nichts vormachen: Die Sache ist wegen unterschiedlicher Interessen so komplex, dass mit raschen Lösungen wohl nicht zu rechnen ist. Aber ich glaube, die Ereignisse der letzten Tage sollten Politiker wach rütteln. Jetzt besteht wirklich Handlungsbedarf.

Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass selbst die Universität in Shenzhen, an der der betreffende Forscher tätig ist, von den Versuchen nichts gewusst hat. Man sei „geschockt“, schreibt die Uni in einer Aussendung. Die Versuche dürften auch nicht in Räumlichkeiten der Universität stattgefunden haben. Gegen solche Alleingänge helfen wohl auch die besten Regelungen nichts.

Ulrich Körtner: Wenn jemand in seiner Garage forscht, wenn ich das so sagen darf, hat die Uni natürlich dagegen keine direkte Handhabe. Aber: Wenn es auf einer Universität einen sogenannten „code of conduct“ gibt - die Uni Wien oder die Medizinuni Wien hat so etwas beispielsweise -, dann werden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu ethischen Richtlinien verpflichtet. Ein Verhaltenscodex also. Wer dagegen verstößt, muss unter Umständen mit disziplinarrechtlichen Konsequenzen rechnen. Wie das die Universität Shenzhen handhabt, weiß ich im Detail natürlich nicht. Prinzipiell meine ich: So ein unethisches Verhalten muss Konsequenzen haben. Mit „unethisch“ meine ich jetzt nicht ein moralisierendes „Pfui, so etwas tut man nicht“, sondern: Es gibt etablierte Prozeduren für gute Forschung wie zum Beispiel die Helsinki-Deklaration, die nicht unterlaufen werden dürfen.

Und es gibt natürlich auch in den Nationalstaaten entsprechende Regelungen. In Österreich etwa das Krankenanstalten- oder das Arzneimittelgesetz. Wenn bei uns bestimmte Versuche an Menschen durchgeführt werden sollen, dann sind diese verpflichtend durch eine Ethikkommission zu begutachten - und das ist „hard law“. Ich könnte mir vorstellen, dass es ähnliches auch in China gibt.

Noch gibt es von dem Menschenversuch keine offizielle Publikation.

Ulrich Körtner: Forscher haben grundsätzlich ein Interesse, ihre Entdeckungen in angesehenen Zeitschriften zu publizieren. Damit machen sie Karriere. Heutzutage ist es so, dass Zeitschriften den Inhalt von eingereichten Manuskripten nicht nur fachlich prüfen lassen, sondern - wenn es sich um Versuche an Menschen oder Tieren handelt - routinemäßig auch abfragen: Wurde das der zuständigen Ethikkommission vorgelegt? Wenn also die Universität in Shenzhen von diesen Vorgängen nicht in Kenntnis gesetzt wurde, dann wird die Forschergruppe das auch nicht publizieren können.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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