Superhelden sind keine Ökofighter

Mit außerirdischen Schurken werden Superhelden im Dutzend fertig. Mit der irdischen Klimaerwärmung tun sie sich aber schwer. Es sind meist Bösewichte, die im Science Fiction gegen die Ökokrise kämpfen und dabei die Menschheit dezimieren. Warum eigentlich?

Bankräuber oder Außerirdische zu bekämpfen ist einfacher als den steigenden Meeresspiegel. „Es gibt keine Idee, wie man Probleme wie den Klimawandel lösen könnte, ohne Monster zu erzeugen“, sagt Gerry Canavan. Der US-Literaturwissenschaftler ist zurzeit Gast einer internationalen Konferenz an der Universität Graz, die der Bedeutung von Science Fiction in der heutigen Welt nachgeht.

science.ORF.at: Science Fiction und Superhelden hatten seit ihrem Bestehen immer Fans, in den vergangenen Jahren ist die Anzahl der Filme aber noch einmal explodiert. Warum?

Gerry Canavan: Mir gefällt, was der SF-Autor Kim Stanley Robinson gesagt hat, nämlich dass wir heute alle gemeinsam Science Fiction schreiben. Jeder trägt einen Supercomputer in seiner Hosentasche, der uns jede Information liefert und uns zugleich ständig überwacht. Science Fiction gibt uns einen neuen Zugang zur aktuellen Welt und trainiert uns gleichzeitig für eine neue Welt. Die Explosion des Interesses für Superheldenfilme, speziell aus dem Marvel-Universum, hängt mit vielen Veränderungen zusammen: Brexit, die Wahl von Donald Trump und all den anderen grotesken, aber gefährlichen Figuren, die Krise von Regierungsfähigkeit und liberaler Demokratie. Wir leben in einem chaotischen Moment, Superhelden und Science Fiction helfen uns zu verarbeiten, was gerade geschieht.

Porträtfoto von Gerry Canavan

Lukas Wieselberg, ORF

Gerry Canavan ist Associate Professor für zeitgenössische Literatur an der Marquette University in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin und Autor bzw. Herausgeber mehrerer Bücher zu Science Fiction und Comics.

Veranstaltung

Die Konferenz ”Worlding SF: Building, Inhabiting, and Understanding Science Fiction Universes” findet von 6.-8. Dezember an der Uni Graz statt.

Hat das nicht auch etwas mit der Ökonomie zu tun, die Filme sind ja sehr erfolgreich?

Canavan: Natürlich, die DC Superhelden mit Batman oder Superman und erst recht das Marvel-Universum sind eine milliardenschwere Filmindustrie. Die Filme sind so begehrt, weil sie mehr mit dem Fernsehen von heute als mit Kino zu tun haben: Die sehr ausgedehnten Erzählstrecken verleiten zum Binge Watching. Selbst Star Wars oder Harry Potter sind viel limitierter als Marvelfilme – die mit Iron Man und The Hulk vergleichsweise einfach begannen. Der Markt hat gesprochen: Das ist, was wir wollen, und so werden wir von Superhelden überflutet. Man kann ihnen kaum entkommen.

Wie hat sich das auf die Superhelden bzw. ihre Geschichten ausgewirkt?

Canavan: Ich interessiere mich vor allem für die politische Ökonomie der Filme. Vieles wird dabei von Fragen bestimmt, die nichts mit den Geschichten zu tun haben. Fragen wie: Wie viele Filme hat eine Figur, ehe der Vertrag ausläuft? Wer wird verlängert? Wessen Film ist gut gelaufen und darf noch einen machen? Es ist letztlich das Geld, das die Geschichten bestimmt. Die Geschichten versuchen uns etwas über Utopien zu erzählen, über körperliche oder gesellschaftliche Transformationen. Sie sind aber sehr stark begrenzt durch die ökonomischen Interessen von Disney.

Plakat der Uni Graz

Timna Simonson / Uni Graz

Konferenzplakat der Uni Graz

Aber zumindest die Diversität der Superhelden hat sich verändert?

Canavan: Das stimmt, Black Panther ist dafür bisher der Höhepunkt. Disney hat erkannt, dass es mit einem dunkelhäutigen Helden einen neuen Markt hat. Auch hier gibt es die Spannung zwischen der Geschichte, die von Optimismus und Diversity erzählt, und den ökonomischen Beschränkungen – denn natürlich wird es wieder einen zweiten Teil geben etc. Der nächste Schritt wird 2019 mit „Captain Marvel“ gemacht, wo Marvel nach sehr langem Zögern erstmals einen Film mit einer Frau in der Hauptrolle ausprobiert. Da war DC mit „Wonderwoman“ einmal schneller.

Wie wichtig sind Themen wie saubere Energie, Ökologie und Klimawandel heute für Superhelden?

Canavan: Es ist für die Geschichten sehr schwierig, eine ökologische Rationalität einzubauen. Typischerweise geschieht folgendes: Erst wird etwas Unmögliches erfunden, dann verworfen. Batman erfindet eine saubere Energieform und entscheidet sich, sie wegzuschmeißen, weil jemand anderer eine Bombe daraus machen könnte. Iron Man trägt eine saubere Energiequelle an seinem Körper und nutzt jede Art wunderbarer Technologie, die aber anderswo nicht verwendet wird. Auch die Menschen in Wakanda aus Black Panther können dank des fiktiven Metalls Vibranium viele tolle Sachen tun, aber das wird nicht auf den Rest der Welt übertragen. Sie zeigen ein schockierendes Desinteresse an der Klimaerwärmung, obwohl sie alle die Auswirkungen mitbekommen. Sie tun dagegen nichts und haben auch die Sklaverei nicht abgeschafft – weshalb Eric Killmonger auch sehr wütend ist. Es ist eines der seltsamen Paradoxe der Marvelfilme, dass der Bösewicht Thanos der einzige ist, der über Ökologie spricht: In seiner perversen Logik muss man die Hälfte alles Lebens aus ökologischen Gründen vernichten. Disney hat diesen Gedanken, den alle irgendwie haben, einem Schurken in den Mund geschoben, damit er nachher verprügelt werden kann und wir weitermachen können.

Ausstellungsplakat mit Thanos und anderen Mitgliedern des "Marvel-Universums"

AP

Ausstellungsplakat mit Thanos und anderen Mitgliedern des „Marvel-Universums“

Warum tun sich Superhelden so schwer mit dem Thema?

Canavan: Auf gewisse Weise ist es verständlich, denn Superhelden können zwar Bankräuber und Technikdiebe stoppen, nicht aber den Klimawandel – denn den kann man schwer mit der Faust schlagen. Wobei der Science Fiction, der sich damit auseinandersetzt, genau das versucht zu tun – und Klimaerwärmung als Monster darstellt, das man schlagen kann. Etwa „Pacific Rim“, eine Parabel auf steigende Meeresspiegel. Riesige Dinger kommen dabei aus dem Meer und zerstören die Küstenstädte – aber glücklicherweise sind es Monster. Und so kann man Kampfroboter bauen, die ihnen ins Gesicht schlagen. Das Problem wird also gelöst. Klimaerwärmung aber als fast existenzielles Problem, das alle Aspekte unseres Lebens umfasst, bedürfte Änderungen, die fast undenkbar sind. Superhelden sind an sowas nicht gewöhnt, solange sie nicht die Weltherrschaft übernehmen – und das würde sie zu den Bösen machen. Das ist immer der Punkt, an dem sich Schurken von Helden unterscheiden. Es sind diese Widersprüche, die sie davon abhalten, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Sind Superhelden in dem Sinn heute weniger politisch als vor 70 Jahren – wenn man etwa an das Cover denkt, auf dem Captain America Hitler schlägt?

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 7.12., 13:55 Uhr.

Canavan: Das Cover hat 1941 für große Kontroversen in den USA gesorgt, es gab viel mehr Leute, die für Hitler waren, als heute. Die Autoren mussten erklären, warum etwa Superman nicht in der Lage ist Hitler zu stoppen. Das war gar nicht so einfach, und so erfanden sie alles Mögliche, etwa einen Schicksalsspeer, der Hitler in die Hände fiel und der die Superhelden davon abhielt, sich im Krieg einzumischen. Wer heute Klimaerwärmung für ein wichtiges Problem hält, für den mögen die Superhelden unpolitisch sein – und Teil einer infantilen Ablenkung von den wichtigen Dingen, wie den Waldbränden in Kalifornien. Auf der anderen Seite stehen die Superhelden auch im „Kampf gegen den Terror“, mit Gewalt, Folter und ethnischen Stereotypen. In diesem Sinne sind sie gefährlich politisch, weil sie ein protofaschistisches Verhältnis zu Verbrechen und Gesetz nahelegen. Batman ist so ein Witz: Der Typ ist Milliardär, warum verkleidet er sich als Fledermaus und schlägt arme Leute? Er könnte so viel mit seinem Geld tun, um Gotham zu unterstützen, entscheidet sich aber, die Obdachlosen und Armen zu vermöbeln. Das ist eine unglaublich überfrachtete Metapher, wenn man länger drüber nachdenkt. Ursprünglich wurden die Geschichten für Kinder erfunden, und jetzt sollen sie auch für Erwachsene passen. Diese Transformation gelingt nicht immer sehr gut.

Selfie vor einem Filmplakat von Iron Man

AP

Selfie mit Iron Man

Gibt es Superhelden, die mit Ökologie zu tun haben?

Canavan: Es gibt einige DC Helden. Am bekanntesten sind vermutlich Swamp Thing (Das Ding aus dem Sumpf), ein menschenähnliches Wesen mit den Fähigkeiten von Pflanzen, und Animal Man, der für die Rechte von Tieren kämpft. Es gibt auch immer wieder Figuren, die wegen ihrer übernatürlichen Fähigkeit oder Superintelligenz für das Klima oder die Menschheit an sich kämpfen. Aber üblicherweise werden aus ihnen bald Schurken, weil sie sich nicht an die Regeln der liberalen Demokratie oder des Kapitalismus halten. Sie zerstören Eigentum, vernichten Wert usw. Die Superhelden müssen sie dann meistens aufhalten und die Welt retten. Nicht dass Thanos recht gehabt hätte, aber: Es gibt keine Idee, wie man die gesellschaftlichen Verhältnisse so ändern könnte um Probleme wie den Klimawandel zu lösen, ohne Monster zu erzeugen.

Öko-Schurken liegen also im Trend?

Canavan: Ja, neben Thanos gibt es eine Reihe von Bösewichten, die die Ökokrise bekämpfen - zumeist indem sie die Menschheit vernichten. Das beste aktuelle Beispiel ist „Oryx and Crake“ von der kanadischen Autorin Margaret Atwood. Um der ökologischen Katastrophe zu begegnen, bringt ein „Genie“ darin nahezu alle Menschen auf dem Planeten um und ersetzt sie durch eine Menschheit 2.0, der alle negativen Eigenschaften biotechnologisch ausgetrieben wurden. Solche Figuren florieren gerade, sind aber natürlich auch Monster. Die Bekämpfung des Klimawandels ohne Massenmord und Katastrophen bleibt ein offenes Thema - sowohl für die SF-Autoren als auch für die Wissenschaft.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

Mehr zu dem Thema: