Was Zahnstein über die Kunst von Nonnen erzählt

Wer hat im Mittelalter Manuskripte geschrieben, verziert und vervielfältigt? Vermutlich stellen sich die meisten Mönche in einer Klosterbibliothek vor - auch viele Historiker. Doch dieses Bild stimmt so nicht, wie ein erstaunlicher Fund auf alten Zähnen beweist.

Die amerikanische Molekular-Archäologin Christina Warinner von der Max-Planck-Gesellschaft in Jena wollte sich im Rahmen ihrer letzten Studie eigentlich mit der Mundhygiene im Mittelalter beschäftigen. Eine Doktorandin stieß aber bald auf etwas Erstaunliches, wie Warinner erzählt: „Sie hat mich angerufen und gesagt, ich verstehe nicht, was ich hier sehe. Eine Zahnstein-Probe ist unter dem Mikroskop blau. Ich dachte sie übertreibt, aber es war wirklich blitzblau, wie Eier von Drosseln!“ Bald war klar, es waren Partikel von Lapislazuli, ein Farbpigment, das den Zahnstein so strahlen ließ.

Kostbare, seltene Farbe

Lapislazuli war im Mittelalter enorm wertvoll - es gab damals nur eine bekannte Quelle in Afghanistan, aus dem Stein das reine Farbpigment zu gewinnen, war ein aufwändiger Prozess. Im mittelalterlichen Deutschland hätte also kein Laie damit gemalt, und kaum ein Künstler etwas anderes als wertvolle Buchillustrationen. Und darum - so denken viele Historiker - hätte bestimmt keine Frau auch nur einen Pinselstrich damit gemacht.

Lapislazuli-Partikel im Zahnstein einer mittelalterlichen Frau

Monica Tromp

Lapislazuli-Partikel im Zahnstein

Allerdings gehören die Zähne – und die 25 Schichten Zahnstein – eben unzweifelhaft zu einer Frau, 45 - 60 Jahre alt, ohne Zeichen schwerer körperlicher Arbeit oder Krankheit. Zu einer Frau, die rund um 1000 nach Christus gelebt und wohl immer wieder ihren Pinsel mit dem Mund befeuchtet oder in Form gebracht hat – zumindest lässt die Verteilung der Partikel im Mund darauf schließen.

Künstlerin oder Putzfrau?

„Ich habe mit einigen Historikern gesprochen, die gesagt haben, das wäre lächerlich! Sie müsse wohl eine Putzfrau gewesen sein - sie konnten das überhaupt nicht ernst nehmen“, erzählt Christina Warinner. Denn Buchkunst wäre eben Männersache gewesen.

Aber es gibt auch andere Meinungen. Warinner begann mit der Historikerin Alison Beach zusammenzuarbeiten, die sich seit Jahren mit der Schreibkultur von Frauen im Mittelalter beschäftigt (zu Beispiel in ihrem Buch "Women as Scribes). Um gegen die vorherrschende Mainstream-Meinung anzukommen, konnte Beach etwa mit Handschriftenvergleichen zeigen, dass Ordensfrauen zumindest Manuskripte vervielfältigt haben - aber oft ohne zu unterzeichnen.

Kiefer einer Nonne aus dem Mittelalter

Christina Warinner

Dieser Kiefer korrigiert so manches einseitige Geschichtsbild

Und es gebe auch einen Brief, der einen solchen Auftrag an ein Frauenkloster nachweist. Warinner: „Es zeigt, wie unvollständig schriftlich überlieferte Quellen sind. Wir haben tendenziell viel bessere Aufzeichnungen über das Klosterleben von Mönchen. Diese Gemeinschaft von Frauen ist fast aus der Geschichte ausgelöscht, und das, obwohl sie sogar mit dem bedeutsamen Lapislazuli gearbeitet haben.“

Geschichte neu aufrollen

Die Skelette der Frauen stammen vom Standort des heutigen Klosters Dalheim, in Nordrhein-Westfalen in Deutschland. Bevor sich dort um 1400 Mönche angesiedelt haben, dürfte es mehrere Bauwerke dort gegeben haben, eine erste Kirche ist ab 800 erwähnt, bald auch ein kleine Gemeinschaft gläubiger Frauen. Fast nichts ist darüber bekannt oder davon erhalten - bei Bauarbeiten beim Kloster Dalheim vor mehr als zwanzig Jahren hat man aber wohl den damaligen Pfarrfriedhof gefunden.

Warinner glaubt, dass die Bioarchäologie, mit der Analyse länger haltbarer Spuren aus der Natur, das eine oder andere schiefe Geschichtsbild zurechtrücken wird können. Jetzt einmal solche, die mit Lapislazuli gemalt sind.

Isabella Ferenci, science.ORF.at

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