Streifschuss am Schwarzen Loch

Sterne, die um Haaresbreite am kosmischen „Abgrund“ vorbeischrammen: Astronomen sind kürzlich gleich drei spektakuläre Entdeckungen an Schwarzen Löchern gelungen. Das könnte den Weg zur lang gesuchten Weltformel weisen.

Vor rund vier Jahren beobachteten Forscher, wie ein Stern von einem Schwarzen Loch zerrissen wurde. Was passierte danach? Das haben nun Forscher um Dheeraj Pasham vom MIT rekonstruiert. Es ist eine außergewöhnliche kosmische Szenerie, die die Astronomen im Fachblatt „Science“ beschreiben: Regelmäßige Röntgensignale lassen darauf schließen, dass Sternensplitter in einer Umlaufbahn am Abgrund eines 300 Millionen Lichtjahre entfernten Schwarzen Loches kreisen - am Ereignishorizont, dem letztmöglichen Stückchen Raum, das der Schwerkraft des Schwarzen Loches noch nicht völlig ausgeliefert ist.

Die Forscher erklären sich die Signale mit einem extrem seltenen Ereignis, bei dem wohl ein alter Stern, ein weißer Zwerg, schon länger am Horizont des Schwarzen Lochs eine Umlaufbahn bereist, das Signal aber erst stark genug wurde, als der weiße Zwerg sich „Sternensplitter“ des anderen, zerborstenen Sterns einfing. Gemeinsam kreisen sie am Horizont, bis sie etwas Energie verlieren - und über die Kante „rutschen“.

Drei spektakuläre Entdeckungen

Für die Forscher lassen die Daten Rückschlüsse auf Masse, Drehbewegung und vielleicht sogar das Alter von Schwarzen Löchern zu. Dies ist eine von mehreren erstmaligen Beobachtungen in jüngster Zeit, die immer neue Informationen bringen und mit großem Interesse verfolgt werden.

Cover der Zeitschrift "Nature" vom 10.1.2019

Nature Publishing Group

„Nature“-Cover vom 10. Jänner

So hat zum Beispiel ein Forscherteam rund um Raffaela Margutti von der Northwestern University bekanntgegeben, die erste Zeit nach der „Geburt“ eines Schwarzen Lochs (oder auch eines Neutronensterns) beobachtet zu haben. Instrumente der ISS wiederum haben es möglich gemacht, die bislang kaum erforschte innere Korona eines Schwarzen Loches zu verstehen, wie Forscher um Erin Kara von der University of Maryland in „Nature“ berichten.

Bessere Technik, mehr und feinere Messinstrumente - und nicht zuletzt die erste Aufzeichnung von Gravitationswellen vor kaum drei Jahren haben ein neues Zeitalter der Entdeckung eingeläutet.

Das Bild wird klarer

Besser zu verstehen, wie Schwarze Löcher zum Beispiel Masse um sich herum sammeln oder sich verändern, hilft der Astrophysik, sich aus den Daten ein immer schärferes Bild zu machen. Denn „Beobachten“ heißt in der Astronomie zunächst Messdaten verschiedener Wellenlängen zu sammeln – um dann abzuleiten, was solche Signale hervorrufen kann. Schlussendlich hoffen die Astrophysiker so zu begreifen, wie Galaxien mit einem Schwarzen Loch in ihrem Zentrum entstehen.

Auch für die theoretische Physik sind Schwarze Löcher interessant: Sie sind extreme physikalische Objekte, die Raumzeit krümmt sich unendlich, was hineinfällt, verschwindet. Auch Licht. Schwarze Löcher bilden das Zentrum von Galaxien und funktionieren fast wie riesige Elementarteilchen. Auch darum sind sie wohl Spielwiese der theoretischen Physik.

Gesucht: Quantengravitation

Schwarze Löcher sind ein bisschen wie der große Gegner, den es im Ringen um die Weltformel zu besiegen gilt. Zumindest bekommt man diesen Eindruck, wenn man Daniel Grumiller zuhört. Der theoretische Physiker von der Technischen Universität Wien beschäftigt sich mit der sogenannten Quantengravitation - eine Theorie, die irgendwann Quantenphysik und die Relativitätstheorie zusammenbringen soll, wie Grumiller erklärt: „Schwarze Löcher haben eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der Quantengravitation. Mit Hilfe der neuen Daten können wir auf dem Weg zu diesem ‚Heiligen Gral‘ zumindest allzu spekulative Theorien auf den Müll werfen.“

Das erste „Ausmisten“ habe schon stattgefunden, erzählt Grumiller, bald nach den ersten Arbeiten über Gravitationswellen. Auch wenn das noch nicht bedeute, dass man das Universum heute schon versteht, so helfe es immerhin, nur mehr halb so viele falsche Theorien in der Hand zu haben.

Grumiller würde sich noch mehr Beobachtungen mit Gravitationswellen wünschen, gleichwohl steht die Forschung in diesem Fach noch am Anfang. Gravitationswellen bieten Informationen, die keine elektromagnetische Welle bietet – man umschreibt sie gerne als neuen Sinn, mit dessen Hilfe man das Universum jetzt auch hören könne.

Auf der Erde allerdings gibt es zu viele Störfaktoren um klare Signale einzufangen. Rauschfreier würde das im Weltraum funktionieren. Wenn die seit Jahrzehnten angedachte Weltraumantenne LISA, die aus drei Millionen Kilometer voneinander entfernten Raumsonden bestehen soll, tatsächlich in den von der ESA anvisierten nächsten fünfzehn Jahren in Betrieb geht, dann ist wohl mit einer Flut an neuen Entdeckungen zu rechnen.

Isabella Ferenci, science.ORF.at

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