Wiener Fotoarchiv wird aufgearbeitet

Tausende Porträtfotos der Reichen und Wichtigen aus den Jahrzehnten ab 1911 hat das Fotoatelier „Setzer-Tschiedel“ in Wien gesammelt. Die einzigartigen Bilder des bis 1979 bestehenden Ateliers werden nun digitalisiert, das Archiv aufgearbeitet.

Das Projekt „Wer Wien prägte“, das vom Jüdischen Museum in Wien ideell unterstützt wird, soll Vergessenen wieder ihr Bild zurückgeben. Ein Team um Wolfgang Tschiedel hat mit der Digitalisierung und Aufarbeitung des Bild- und Katalogarchivs des Fotoateliers begonnen. Tschiedel ist Eigentümer der Hinterbliebenschaft des Ateliers mit rund 24.000 Glasnegativen - zu einem guten Teil Porträtfotos von den damals Prominenten.

Baronin Olga von Dirsztay (1883-1962) mit Sohn Antoine Eugène im Jahr 1912

Fotoarchiv Setzer-Tschiedel/Imagno/picturedesk.com

Baronin Olga von Dirsztay (1883-1962) mit Sohn Antoine Eugène im Jahr 1912

Zunächst Bilder bis 1939

„Das Atelier wurde 1911 von Franz Xaver Setzer (1886 bis 1939; Anm.) gegründet. Er hat es bis 1933 betrieben. Meine Großtante hat es bis 1979 geführt. Es ist das einzige Tageslichtatelier, das aus den 1920-er und 1930er-Jahren nahezu vollständig erhalten geblieben ist. Es sind der Gesamtbestand mit mehr als 20.000 Glasnegativen, dem Namensindex, den Plattenbüchern und der Plattenkamera erhalten“, sagte Tschiedel, dessen Großtante schon als technische Leiterin des Ateliers unter Setzer gearbeitet hatte.

Digitalisiert werden zunächst die Aufnahmen von rund 4.500 Personen aus den Jahren 1911 bis 1939. „Wir haben das Glück, dass nicht nur die Platten erhalten sind, sondern auch alle Bücher“, sagte Genealoge Georg Gaugusch am Donnerstag bei der Präsentation des Projekts im Jüdischen Museum.

Charlotte Bühler (1893-1974), Universitätsprofessorin für Psychologie, im Jahr 1925

Fotoarchiv Setzer-Tschiedel/Imagno/picturedesk.com

Charlotte Bühler (1893-1974), Universitätsprofessorin für Psychologie, im Jahr 1925

Dadurch ließen sich - neben den Aufnahmen und Aufzeichnungen der berühmtesten Porträtierten wie Stefan Zweig, Arthur Schnitzler etc. - viele bereits vergessene Personen des Wiener Großbürgertums der Zeit des Ersten Weltkrieges und der Zwischenkriegszeit wieder in Erinnerung bringen. Bei einem großen Teil handelt es sich um Angehörige des jüdischen Bürgertums und somit einer für Wien bestimmenden Gesellschaftsschicht, die schließlich vom NS-Regime vertrieben oder ermordet wurden.

Vor allem jüdisches Bürgertum

Unter den Kunden des Ateliers befanden sich auch die Mitglieder der Getreidehändler- und schließlich Bankiersfamilie Ephrussi, so beispielsweise Ignaz Leo Karl Ritter von Ephrussi, dessen „Hase mit den Bernsteinaugen“-Netsuke durch Edmund de Waals Bestseller samt der Geschichte seiner Besitzer weltbekannt wurde. Auch Charlotte Bühler, eine der berühmtesten Psychologinnen, oder der Biochemiker Fritz Lieben befanden sich unter der Klientel - zusammen mit Max Reinhardt, Giacomo Puccini, Richard Strauss, Maria Jeritza und tausenden Anderen.

Ignaz Leo Karl Ritter von Ephrussi (1906-1994), Kunstsammler in Japan, im Jahr 1919

Fotoarchiv Setzer-Tschiedel/Imagno/picturedesk.com

Ignaz Leo Karl Ritter von Ephrussi (1906-1994), Kunstsammler in Japan, im Jahr 1919

„Die Prominenten hatten immer mit Theater und Oper zu tun. Mit ihnen wurde der Fotograf berühmt. Dann kam die Gesellschaft“, sagte der ebenfalls an dem Projekt beteiligte Fotohistoriker Gerald Piffl, Produktmanager des APA-PictureDesk. Die Aufarbeitung des Archivs ist derzeit erst zu zehn bis 20 Prozent ausfinanziert. Sponsoren werden gesucht.

Die Aufarbeitung des Archivs dürfte noch längere Zeit dauern. Status und Fortschritt können jederzeit auf der Homepage „Wer Wien prägte“ mitverfolgt werden. Die Proponenten hoffen auch auf möglichst viele Rückmeldungen von noch lebenden Nachfahren der Porträtierten. Das Archiv ist offenbar ein einmaliges Spiegelbild der Entwicklung der Wiener Gesellschaft: So fand man beispielsweise auch Porträts von Personen in NS-Uniform bereits aus der Zeit vor dem „Anschluss“ im Jahr 1938, also von illegalen Nationalsozialisten.

science.ORF.at/APA

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