Big Twitter is watching you

Über Soziale Netzwerke werden viele persönliche Informationen preisgegeben. Das gilt laut einer neuen Studie auch für Menschen, die gar keinen Facebook- oder Twitter-Account besitzen: Auch ihre Privatsphäre ist längst ins Internet diffundiert.

1999, es war noch vor der großen Datensammelwut im Internet, sagte Scott McNealy, der damalige CEO von Sun Microsystems: „Sie haben keine Privatsphäre. Finden Sie sich damit ab.“ Marc Zuckerberg drückte es etwas subtiler aus. Das Teilen von persönlichen Informationen, konstatierte der Facebook-Gründer 2010 bei einem öffentlichen Auftritt in San Francisco, sei die neue „soziale Norm“ der Gegenwart.

Womit ebenfalls gesagt war: Das Nicht-Teilen, also das Bestehen auf Privatheit in dieser vernetzten Welt, sei eben nicht mehr zeitgemäß, mithin ein Auslaufmodell. Konnte man dies damals noch als Ausdruck von Geschäftsinteressen betrachten, die im Zweifelsfall auch Werte zu opfern bereit sind, so bietet sich nun eine zweite Lesart an: Vielleicht war es schlicht eine Beschreibung des technisch Faktischen?

Intime Einsichten: Sex, Politik, Religion

Eine Studie im Fachblatt „Nature Human Behaviour“ kommt jedenfalls zu einem ganz ähnlichen Resümee. Forscher um den Mathematiker James Bagrow hatten 30 Millionen Tweets von knapp 14.000 Usern analysiert - und versucht herauszufinden, wie viel persönliche Informationen man aus dem sozialen Netzwerk destillieren kann. Eine ganze Menge, wie das Forscherteam nun schreibt: Hat man die Tweets einer Person XY zur Hand, lässt sich - wie zu erwarten - relativ leicht voraussagen, welchen Inhalts zukünftige Tweets von XY sein werden.

Noch besser funktioniert dieses auf Maschinenlernen basierende Vorhersageverfahren allerdings, wenn man bloß die Tweets der befreundeten User analysiert. Anders ausgedrückt: Im sozialen Netzwerk sind mehr private Information enthalten als in dem, was eine Person tatsächlich online schreibt. Auf diese Weise lassen sich etwa sexuelle Orientierung, politische Ansichten, Religion, Geschlecht, Kaufverhalten und Wohnort mit bis zu 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit feststellen.

Und das bleibt auch so, wenn diese Person ihren Account bei Twitter (und vermutlich auch bei anderen sozialen Medien) gelöscht hat. Denn die ehemaligen Freunde bleiben online - wer glaube, seine Privatsphäre in sozialen Medien selbst in der Hand zu haben, erliege einem Irrglauben, sagt Barlow in einer Aussendung der University of Vermont. „Ihre Freunde haben da auch noch ein Wörtchen mitzureden.“

Die Wissenschaftler haben diese Analyse durchgeführt, um eine Warnung auszusprechen und auf jene digitalen Spuren hinzuweisen, die, entsprechende Werkzeuge vorausgesetzt, relativ leicht zu entschlüsseln sind. Ob das auch gewinnorientierte Internetfirmen so sehen würden, ist freilich eine andere Frage.

Gibt es Schattenprofile?

Besitzen auch Facebook, Google, Twitter solche Werkzeuge? Und benutzen sie sie auch? David Garcia vom Complexity Science Hub Vienna, Autor eines Kommentars zur vorliegenden Studie, hält das für zumindest wahrscheinlich.

Im Gespräch mit science.ORF.at verweist der Komplexitätsforscher auf einen noch extremeren Fall. Angenommen, jemand war in seinem Leben weder auf Facebook noch auf Twitter noch auf anderen sozialen Plattformen aktiv - selbst in diesem Fall wäre es möglich, ein persönliches Profil zu erstellen, betont Garcia: „Facebook bietet etwa die Möglichkeit, Emailadressen und Telefonnummern von Freunden einzutragen. Wenn einer Ihrer Freunde das tut, dann sind Sie ebenfalls erfasst.“

Ein Befund, der der seit einigen Jahren laufenden Debatte über Schattenprofile, die Facebook möglicherweise von seinen Nutzern - und vor allem auch: von den Nichtnutzern anlegt, neuen Spin geben könnte. Mark Zuckerberg hat nie offiziell zugegeben, dass solche Schattenprofile existieren. Als der Facebook-Chef letztes Jahr vor dem US-Kongress dazu befragt wurde, sagte er: Man müsse Daten auch von Nichtnutzern aufzeichnen, „um die Sicherheit der Facebook-Nutzer zu garantieren“.

Daten-Kooperativen als Ausweg

Garcia hält es für eine gute Idee, nicht von freiwilliger Selbstbeschränkung der großen Konzerne auszugehen: „Wenn wir unsere Privatsphäre schützen wollen, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder wir überlassen diese Aufgabe dem Staat - was allerdings die Frage aufwirft: Wer schützt User vor dem Zugriffsrecht des Staates? Eine andere Möglichkeit wäre, dass sich die User selbstverwalteten Daten-Kooperativen anschließen und gemeinsam abstimmen, welche Firma Zugriff auf welche Daten bekommt.“

Die Vorstellung, ein einzelner User würde seine Daten für das Service einer sozialen Plattform eintauschen, quasi per Individualvertrag - diese Vorstellung sei jedenfalls obsolet, betont Garcia. Im Internet habe sich die Entscheidungsmacht längst ins Kollektiv verlagert, im Guten wie im Schlechten.

Robert Czepel, science.ORF.at

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