Superkeim-Gene in der Arktis entdeckt

Resistente Keime können in Krankenhäusern lebensbedrohliche Infektionen auslösen. Wie verbreitet sind sie in der Umwelt? Jetzt haben britische Forscher solche Superkeim-Gene fernab der Zivilisation nachgewiesen: in der Arktis.

Bei manchen Themen gleichen die Botschaften der Wissenschaft einem Mantra. Die Antibiotikaresistenz ist ein solches: Regelmäßig warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor den Gesundheitsgefahren, die durch die Ausbreitung multiresistenter Keime entstehen. Die Liste jener Antibiotika, mit denen man Bakterien wirksam bekämpfen kann, werde immer kürzer, heißt es in den Mitteilungen der WHO. Laut Statistik sterben jährlich bis zu 700.000 Menschen an Infektionen mit solchen Superkeimen. Tendenz: steigend.

Von Indien in die Arktis

Ob und inwieweit sich die verantwortlichen Resistenzgene in der Umwelt ausbreiten, ist noch nicht hinlänglich klar. Eine Untersuchung von David Graham von der Universität Newcastle gibt nun Anlass zur Sorge: Der Mikrobiologe hat mit seinen Mitarbeitern das Gen blaNDM-1 in arktischen Bodenproben nachgewiesen. Der Erbfaktor macht Bakterien immun gegenüber einer Reihe von Antibiotika, vor allem gegenüber den Carbapenemen - eine der letzten Waffen, die Mediziner noch zur Behandlung von resistenten Keimen zur Verfügung haben.

Das ist deswegen bemerkenswert, weil das Gen erst 2008 in einem Krankenhaus in Neu-Delhi entdeckt worden war. Zwei Jahre später wiesen es Forscher in Wasserproben der indischen Millionenstadt nach. Und jetzt ist das Gen am anderen Ende der Welt aufgetaucht, im Kongsfjord nordwestlich der Insel Spitzbergen.

Im Bauch von Vögeln

Wie kam es dorthin? Graham sieht zwei mögliche Verbreitungswege: „Tiere nehmen solche Resistenzgene durch ihre Nahrung auf. Ich vermute, dass sie im Körper von Vögeln bis in die Arktis transportiert wurden - wo sie über den Vogelkot dann in den Boden gelangt sind.“ Nicht auszuschließen sei, dass auch der Mensch daran beteiligt war. Anderthalb Kilometer vom Untersuchungsort entfernt liegt nämlich eine internationale Forschungsstation. „Vielleicht sind die Resistenzgene auch über die Abwässer der King’s-Bay-Research-Polarstation in die Umwelt gelangt“, sagt Graham. „Oder es ist eine Kombination von beidem. Wir versuchen das jetzt herauszufinden.“

Eisberg im Meer, dahinter eine verschneite Felslandschaft

MARTIN BUREAU / AFP

Der Kongsfjord im arktischen Ozean

Die Bakterien im arktischen Boden haben zwar das genetische Potenzial, Antibiotika zu widerstehen. Das allein macht sie allerdings noch nicht zu gefährlichen Superkeimen. Gleichwohl wirft dieser Befund Licht auf die Mobilität von solchen Erbfaktoren: Wenn Bakterien Resistenzgene munter tauschen und diese binnen weniger Jahre quer über die halbe Welt reisen, dann kann man davon ausgehen, dass das auch an anderen Orten und bei anderen Resistenzen ebenso sein wird.

Globale Verbreitung durch menschlichen Kot

Die alljährlichen Warnungen der WHO erfahren durch Grahams Studie jedenfalls neue Dringlichkeit. Die bisherige Debatte zu diesem Thema sei einseitig, kritisiert der Mikrobiologe im Gespräch mit science.ORF.at, es gehe nicht nur um Krankenhäuser und die Verschreibung von Medikamenten.

„Natürlich müssen wir den Gebrauch der Antibiotika einschränken. Das ist essenziell - aber eben nur ein Teil der Lösung. Was wir ebenso benötigen, ist ein Umdenken beim Abwassermanagement. 2,5 Milliarden Menschen auf der Erde haben keinen Zugang zu sanitären Anlagen, viele davon müssen ihren Stuhlgang im Freien verrichten. Das ist der Hauptgrund dafür, dass Antibiotikaresistenzen in die Umwelt gelangen. Dagegen müssen wir etwas tun.“

Kinde in Indien gehen entlang eines Feldweges

SINGH PRAKASH SINGH / AFP

Ohne sanitäre Anlagen gelangen die Resistenzen rasch in die Umwelt

Die Studie, veröffentlicht im Fachblatt „Environment International“, beinhaltet auch eine gute Botschaft. Die britischen Forscher fanden in den arktischen Bodenbakterien einige vielversprechende Ansatzstellen für neuartige Antibiotika.

Die wären auch für Pharmafirmen von Interesse - sofern sich mit der Entwicklung neuer Wirkstoffe Geld verdienen ließe. Momentan ist das kaum der Fall, denn neue Antibiotika verlieren oft binnen weniger Monate ihre Wirksamkeit. Womit sich der Kreis schließt: Ließe sich die Ausbreitung der Resistenzen eindämmen, würde auch die Industrie in die Entwicklung neuer Wirkstoffe investieren.

Robert Czepel, science.ORF.at

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