Keine Ahnung von Algorithmen

Algorithmen treffen zunehmend und weitgehend unbemerkt viele Entscheidungen in allen möglichen Lebensbereichen. Jeder zweite EU-Bürger weiß aber nicht mal, was Algorithmen sind, geht nun aus einer Studie hervor.

Unter 10.960 befragten Personen in allen 28 EU-Ländern haben rund 48 Prozent keine Kenntnis über Algorithmen. Genauer: 15 Prozent haben den Begriff überhaupt noch nie gehört, und 33 Prozent haben ihn zwar mal vernommen, wissen aber nicht, was er bedeutet. Und nur acht Prozent meinen, gut über Algorithmen Bescheid zu wissen. Das geht aus einer am Mittwoch veröffentlichten repräsentativen Umfrage der Bertelsmann Stiftung hervor.

Mit dem Wort Algorithmus wird eine Reihe von Anweisungen bezeichnet, die in Computersystemen Schritt für Schritt ausgeführt werden, um ein Problem zu lösen bzw. eine Aufgabe zu bewältigen. Die meisten Befragten haben laut Untersuchung nur vage Vorstellungen davon, wo Algorithmen eingesetzt werden. Am ehesten verbinden sie damit auf die Person zugeschnittene Onlinewerbung oder Anwendungen bei Dating-Plattformen. Nicht nur die Kenntnis, auch die Einstellung zu Algorithmen wurde abgefragt: Dabei gaben 46 Prozent der EU-Bürger an, dass sie mehr Vorteile sehen - und für 20 Prozent überwiegen die Nachteile.

Tagtägliche Entscheidungen

Algorithmen treffen in zahlreichen Feldern tagtäglich Entscheidungen, die die Menschen konkret betreffen, erläuterte eine Stiftungsexpertin in Gütersloh. Einige Beispiele: Wer sich bei Onlinesuchmaschinen informiere oder im Netz Waren bestelle, erhalte in der Folge - basierend auf dem eingegebenen Suchwort oder den georderten Artikeln - auch ungebeten teilweise personalisierte Werbung. Steuererklärungen würden in Standardfällen nur noch vollautomatisch berechnet, sagte die Sprecherin.

Schon 18 Prozent der Unternehmen nutzten Algorithmen im Personalmanagement, die dort etwa Lebensläufe und Bewerbungsanschreiben nach bestimmten Kriterien scannten. „Und das wird weiter zunehmen.“ Auch im Navi steckt ein Algorithmus, der blitzschnell die kürzeste Route errechnet. Um die Polizei bei der Kriminalitätsbekämpfung zu unterstützen, sollten Algorithmen in einer speziellen Software berechnen, wo sich voraussichtlich demnächst Straftaten ereignen werden.

Mehr Kontrolle, mehr Transparenz

Die Untersuchung stellte fest, dass Männer und Menschen mit höherem Bildungsabschluss tendenziell stärker die Vorteile einer automatisierten Entscheidungsfindung sehen - und auch mehr Anwendungsgebiete kennen. Zudem gebe es Unterschiede je nach EU-Land. Polen komme auf den höchsten Kenntniswert: Dort sagten elf Prozent, dass sie sich gut auskennen. Die Briten wissen laut Studie dagegen besonders wenig über Algorithmen. Für Frankreich machte die Stiftung hohes Unbehagen aus: 21 Prozent fürchteten sich dort vor Algorithmen.

In Deutschland sei man ebenfalls recht skeptisch - positiv werde vor allem Effizienz, negativ „Macht für Programmierer“ genannt. In puncto Wissen habe es Fortschritte gegeben. Und auch bei der Frage nach der Einstellung zum Einsatz von Algorithmen sei die Zahl der Unentschlossenen ohne eigene Meinung gesunken.

In der EU wünscht sich insgesamt eine große Mehrheit von 74 Prozent eine stärkere Kontrolle bei computerbasierten Entscheidungen. Sinnvoll sei auch mehr Transparenz, wann, wo und wie algorithmisch entschieden werde. Angesichts der großen Wissensdefizite forderte Stiftungsvorstand Jörg Dräger eine intensive Diskussion in Europa über Algorithmen und künstliche Intelligenz.

science.ORF.at/APA/dpa

Mehr zum Thema