Polschmelze macht Wetter variabler

Mit der Klimaerwärmung werden extreme Kälte und extreme Hitze wahrscheinlicher. Eine aktuelle Studie zeigt nun erstmals: Ein Grund dafür sind die abschmelzenden Eismassen am Nord- und Südpol.

Schmelzen die Eismassen Grönlands und der Antarktis, hat das Auswirkungen auf die Luft- und Meerestemperaturen, so könnte man das Ergebnis einer internationalen Studie zusammenfassen. Das gilt zumindest für den Fall, dass die Klimaschutzmaßnahmen weiterhin so träge umgesetzt werden, wie derzeit von Politikern weltweit in Aussicht gestellt. Dann nämlich rechnen Experten mit einer Erwärmung von 2.5 bis sogar mehr als vier Grad Celsius bis zum Jahr 2100.

Unter dieser Annahme würde das Schmelzwasser der Antarktis und Grönlands jene Meeresströmung lähmen, die warmes, tropisches Meerwasser in den Nordatlantik bringt, so die aktuellen Berechnungen. Das würde nicht nur die Temperaturen im Meer, sondern auch in der Luft verändern. Abgesehen davon könnte das Schmelzwasser auch das Tauen der Eismassen beschleunigen. Das gilt vor allem für die Antarktis, erklärt eine der Studienautorinnen Tamsin Edwards vom King´s College in London. „Das Schmelzwasser sperrt das wärmere Wasser im Süden quasi unter der Wasseroberfläche ein, wodurch die Eismassen schneller von unten her abgeschmolzen werden”, so die Klimaforscherin.

Überraschende Schwankungen

Ganz neu sind diese Erkenntnisse nicht. Wirklich überraschend ist vielmehr, dass mit dem Abschmelzen der Eismassen auch die Temperaturschwankung extremer und unvorhersehbarer werden - sowohl im Meer als auch in der Luft. Auf ein extrem kaltes Jahr könnte dann ein sehr warmes folgen und umgekehrt - unabhängig davon, dass sich das Klima stetig erwärmt, so Edwards. „Wir sind es gewöhnt, dass wir ein gleichmäßiges Klima haben. Es wird schwer, sich daran anzupassen.“

Schelfeis im Südpolarmeer

Mark Brandon

Schelfeis in der südlichen Bellingshausen-See; im Vordergrund: Mischungsnebel, auch als „Meerrauch“ bekannt

Noch problematischer seien die extremen Temperaturschwankungen aber für die Meerestiere - zumindest in manchen Regionen, so Edwards. Laut dem Klimamodell kann es vor allem an der pazifischen Küste Südamerikas sowie in tropischen Regionen des Atlantiks beispielsweise zu stärkeren Schwankungen kommen. „Das würde das Ökosystem und die Fische stark beeinflussen.“

Wie intensiv diese Schwankungen ausfallen, hängt auch davon ab, wie viel Eis abschmilzt. Mit dieser Frage haben sich die Forscher rund um Tamsin Edwards in einer zweiten zeitgleich erschienen Studie beschäftigt, allerdings nur hinsichtlich der Antarktis.

Zuletzt herrschte hier in der Forschercommunity Uneinigkeit. Der Grund dafür war eine Studie aus dem Jahr 2016. Hier kamen Klimawissenschaftler zu dem Schluss, dass instabile, einhundert Meter hohe Eiskliffe der Antarktis schneller wegbrechen und abschmelzen können als angenommen. Sie gingen dabei von einer Art Dominoeffekt aus. Das hätte zur Folge, dass der Meeresspiegel bis zum Ende des Jahrhunderts allein dadurch um zusätzlich einen Meter steigen würde.

Weniger extrem

Der aktuellen Studie unter der Leitung von Edwards zufolge ist das aber eher unwahrscheinlich. „Wir haben uns die Studie sehr genau angesehen und mit genaueren, komplexeren Modellen gerechnet. Es geht nicht darum zu sagen, die Studie ist falsch, das extreme Ereignis ist nur unwahrscheinlich.“

Edwards und ihren Kollegen zufolge wird der Beitrag der Antarktis zum Meeresspiegelanstieg nur mit fünfprozentiger Wahrscheinlichkeit 39 Zentimeter übersteigen. „Wahrscheinlicher sind 15 Zentimeter.“ Damit entspricht diese Rechnung laut Edwards nicht nur dem Ergebnis anderer Studien. Auch die erste Nature-Studie, an der Edwards beteiligt war, kam über andere Rechenmodelle zum beinah selben Ergebnis: Hier waren es 14 Zentimeter. Demnach ist die Eisschmelze der Antarktis zwar geringer als zuletzt befürchtet, die möglichen Auswirkungen bleiben aber bedrohlich.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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