Sternenstrom „gleich ums Eck“

Auch Astronomen sehen manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht: Wiener Forscher haben in unmittelbarer Nachbarschaft des Sonnensystems einen riesigen Sternenstrom entdeckt. Sein Alter: eine Milliarde Jahre.

Seit 2014 durchmustert das Weltraumteleskop „Gaia“ der Europäischen Raumfahrtagentur ESA den Himmel mit bisher unerreichter Genauigkeit. Dabei fallen Unmengen an Daten an, jene der Sonnenumgebung hat jetzt ein Team um Stefan Meingast unter die Lupe genommen - und dort eine bislang übersehene Formation ausgemacht. Das sind Sterne, „die alle mit gleicher Geschwindigkeit in die gleiche Richtung fliegen, gleich alt sind und die Eigenschaften eines durch Gezeitenkräfte verformten Sternhaufens aufweisen“, erklärt der Astronom von der Universität Wien.

Sternhaufen unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Alters gibt es unzählige in der Milchstraße. Viele davon sind nur einige Millionen Jahre jung und enthalten auf vergleichsweise engem Raum zahllose Sterne. Dagegen finden sich speziell am Rand der Galaxie, dem sogenannten Halo, riesige, massereiche Sternensysteme, die schon seit Milliarden Jahren den Gezeitenkräften ausgesetzt sind. Sie wurden im Laufe der Zeit durch diese Kräfte zu Sternenströmen auseinandergezogen.

300 Lichtjahre entfernt

Erstmals wurde laut Meingast nun ein solcher Sternenstrom nicht so weit draußen entdeckt. Er ist sogar vergleichsweise nahe zu unserem Sonnensystem, die nächsten Sterne der Gruppe sind rund 300 Lichtjahre entfernt (zum Vergleich: beim sonnennächsten Stern Alpha Centauri beträgt die Entfernung rund 4,3 Lichtjahre).

Sterne innerhalb der kreisförmigen Milchstraße

Gaia DR2 skymap

Der neu entdeckte Sternenstrom (rote Punkte) kreuzt viele bekannte Sternbilder

Der Sternenstrom erstreckt sich über Hunderte Lichtjahre. Aus Sicht der Erde verteilen sich die Sterne der Gruppe über den gesamten Nachthimmel. „Das ist auch der Grund, warum man ihn bisher nicht entdeckt hat. Die einzelnen Sterne waren durchaus bekannt, aber ohne die präzisen Messungen von ‚Gaia‘ hat man den Zusammenhang zwischen ihnen nicht gesehen“, sagte Meingast.

Gesucht: Geschwister der Sonne

Die Astronomen haben dem Strom bisher rund 200 Sterne zugeordnet. Weil „Gaia“ lichtschwächere Objekte nicht erfassen kann, gehen sie davon aus, dass die Gruppe aus mindestens 4.000 Sternen besteht. Sie wäre damit eine der massereichsten Sternengruppen in Sonnennähe. Die Wissenschaftler erhoffen sich von ihrer Entdeckung nicht nur neue Erkenntnisse über die Masseverteilung und die Gravitationskräfte in der Milchstraße, sondern auch mit Hilfe von „Gaia“ weitere solche Systeme zu entdecken.

Auch die Sonne dürfte vor rund 4,5 Mrd. Jahren in einem solchen Sternhaufen entstanden sein. Allerdings haben sich in der langen Zeit seither die Sterne dieser Gruppe über das gesamte Milchstraßensystem verteilt. „Das ist ein eigener Wissenschaftsbereich, in dem man versucht herauszufinden, wo diese Geschwistersterne der Sonne sind“, so Maingast.

science.ORF.at/APA

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