„Wir meinen es politisch!“

Manche sind aus ärmsten Verhältnissen, andere Töchter aus wohlhabendem Haus: jene Frauen, die vor hundert Jahren als erste weibliche Abgeordnete in das österreichische Parlament einziehen. Trotz ideologischer Unterschiede, kämpften sie für gemeinsame Ziele.

Im Februar 1919 war es soweit: Erstmals durften Frauen in Österreich wählen und kandidieren. Dass die Politik und insbesondere das Parlament ein den Männern vorbehaltener Raum war, bekamen die ersten Parlamentarierinnen nicht erst bei ihrem Einzug in die Nationalversammlung zu spüren. Denn sie alle hatten schon in den Jahren davor um politische Rechte, bessere Arbeitsbedingungen und vor allem das Frauenwahlrecht gekämpft.

Die Sozialdemokratin

Unter den sieben weiblichen sozialdemokratischen Abgeordneten war die Galionsfigur der österreichischen Arbeiterinnenbewegung, Adelheid Popp. Als Weberstochter hatte sie die bittere Armut des späten 19. Jahrhunderts in den Vorstädten Wiens am eigenen Leib erlebt, bereits als Kind musste sie in Fabriken im Akkord schuften.

Adelheid Popp

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Adelheid Popp

Schon als junge Frau erkannte sie die Ungerechtigkeit und die Ausbeutung, denen vor allem Frauen in den Fabriken ausgesetzt waren, und begann, Streiks zu organisieren und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen anzuprangern. Die Sozialdemokraten erkannten das politische Talent der jungen Frau und förderten sie. 1892, im Alter von 23 Jahren, war sie Chefredakteurin der Arbeiterinnenzeitung. Unermüdlich forderte sie Gesetze zum Schutz von Arbeiterinnen, stärkere Rechte für Hausmädchen, das Wahlrecht für Frauen.

Die Christlich-Soziale

Rund 20 Jahre jünger als Adelheid Popp, kommt die einzige christlich-soziale Abgeordnete, Hildegard Burjan, aus einer völlig anderen Welt als ihre sozialdemokratische Kollegin. Die Jüdin stammt aus wohlhabendem Hause und hat an der Universität Zürich studiert. Mit fatalen gesundheitlichen Folgen: Da es an der Universität keine Toiletten für Frauen gibt, zieht sie sich als Studentin ein Nierenleiden zu, an dem sie fast stirbt.

Hildegard Burjan

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Hildegard Burjan

Im Krankenhaus geben nach einer schweren Operation nur die katholischen Schwestern die Hoffnung nicht auf. Wie durch ein Wunder schließen sich am Ostersonntag ihre Wunden – für die junge Hildegard der Wendepunkt im Leben. Sie konvertiert zum Katholizismus und beginnt, sich in Wien für in Armut geratene Frauen einzusetzen. 1912 gründet sie den Verein christlicher Heimarbeiterinnen. Sie fordert Mindestlöhne für Frauen, kostenlosen Rechtsbeistand, besseren Schutz für Schwangere – und das Wahlrecht für Frauen.

Neue Stätte des Wirkens

1919 schließlich ist der lange Kampf ums Wahlrecht gewonnen – beide Frauen sitzen für ihre Fraktionen in der österreichischen Nationalversammlung, Adelheid Popp gemeinsam mit ihren Mitstreiterinnen Anna Boschek, Emmy Freundlich, Gabriele Proft, Therese Schlesinger, Amalie Seidel und Marie Tusch, für die Sozialdemokraten – die stimmenstärkste Partei nach der ersten Wahl.

Sendungshinweise

Dem Frauenwahlrecht widmet sich ein Beitrag im Mittagsjournal um 12:00 und die Universum History Dokumentation „Die Unbeugsamen - Drei Frauen und ihr Weg zum Wahlrecht“, 21.2., 21:05 Uhr, ORF 2

Ö1-Schwerpunkt zum Frauenwahlrecht

Doch mit diesem Sieg beginnt auch ein neuerlicher Kampf um politische Mitsprache in einer bislang absolut männlichen Sphäre. Denn im Parlament weht den ersten Parlamentarierinnen ein rauer Wind entgegen. Ihre Reden werden von Zwischenrufen gestört, immer wieder kommt es zu Ordnungsrufen.

Erste Rede – erstes Tabu

Als erste Frau hält Adelheid Popp eine Rede im Parlament. Sie fordert darin die Abschaffung des Adels und all seiner Privilegien. Die stenografischen Protokolle zeigen, welchen Unmut die aus Sicht vieler Abgeordneten als skandalös empfundene Forderung auslöste – aber auch, wie selbstbewusst die Frauen darauf reagierten.

Stimmabgabe in einem Wahllokal auf der Wieden

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Stimmabgabe in einem Wahllokal auf der Wieden

„Das war ein doppelter Tabubruch. Auf der einen Seite, weil sie eine Frau ist, die bis vor kurzem noch als unpolitisch charakterisiert wurde, und weil sie radikal die Abschaffung des gesamten Adels und seiner Privilegien forderte. Popp wird von Anfang an unterbrochen, ständig gibt es Zwischenrufe – das wissen wir aus den stenographischen Protokollen. Aber diese ersten Parlamentarierinnen waren ganz starke Frauen, eben Kämpferinnen", erklärt Gabriella Hauch, Historikerin am Institut für Zeitgeschichte.

Gemeinsame Ziele

Zumindest in den Anfangsjahren gab es gewisse Forderungen und Ziele, die den bürgerlichen und sozialdemokratischen Frauen gemeinsam waren. „Die ersten weiblichen Abgeordneten hatte die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts am eigenen Leib gespürt. Sie waren im Familienrecht des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch dem „Mann als Haupt der Familie" untertan, von Höherer Bildung ausgeschlossen, verdienten weniger als Männer. Das führte zu gewissen kleinen Schulterschlüssen“, sagt Gabriella Hauch. Vor allem im Bereich des Arbeits- und Sozialgesetzes ging es den weiblichen Abgeordneten aller Parteien um die Absicherung der weiblichen Erwerbstätigen, wie Hausangestellten, Dienstmädchen, Hausgehilfinnen, Heim- und Landarbeiterinnen sowie Hebammen.

Frauen bei der Stimmabgabe in New York, schon 1917

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Frauen bei der Stimmabgabe in New York, schon 1917

In der nächsten Legislaturperiode, ab 1920, wurden die Christlich-Sozialen stimmenstärkste Partei. Die neuen Machtverhältnisse führten dazu, dass viele Forderungen, die die sozialdemokratische und die bürgerlich-liberale Frauenbewegung vor dem Ersten Weltkrieg gemeinsam vertreten hatten, meist gar nicht zur Verhandlung kamen, wie die Reform des patriarchalen Familienrechts, die Einführung der Zivilehe oder die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Als gemeinsamer Erfolg zu werten ist die nach einer steirischen Christlich-Sozialen benannte „Lex Rudel-Zeynek“ von 1926, mit der die Alimentationspflicht für ledige Kinder festgesetzt wurde – unter heftiger Gegenwehr vieler Abgeordneter. Als Reaktion wurde gar der „Bund für Männerrechte“ geründet.

Mit Tricks und Kalkül

Um allen Mädchen den Besuch eines Gymnasiums zu ermöglichen, wurde vorgeschlagen, die Bubengymnasien auch für Mädchen zu öffnen. Doch diese Form der Ko-Edukation war für die Christlich-Sozialen und die inzwischen auch im Parlament vertretenen Deutschnationalen ein rotes Tuch.

Die deutschnationalen und christlich-sozialen Parlamentarierinnen wussten, wie sie die Zustimmung der Männer in ihren Parteien trotzdem bekommen konnten, erklärt Gabriella Hauch: „ Aus den Fraktionssitzungsprotokollen wissen wir zufällig, dass die deutschnationale Abgeordnete Emmy Stradal mit antisemitischen Argumenten ihre Fraktion umgedreht hat. Sie sagt, wenn wir dagegen sind, dass die Schulen geöffnet werden, gehen wieder nur die reichen, jüdischen Mädchen aufs Gymnasium. So beschwört sie also das Schicksal des armen, arischen Mädels, das nicht auf die Privatschule gehen kann – und bekommt so die Zustimmung ihrer Fraktion.“

An der Parteiräson vorbei

Die christlich-soziale Olga Rudel-Zainyk präsentiert ihrer Partei Untersuchungen aus den USA, wo die Frauenbewegung statistisch nachgewiesen hat, dass Ko-Edukation weder zu erhöhten Schwangerschaften oder vermehrtem Auftreten von Geschlechtskrankheiten führt.

Frauentag 1930

Kreisky Archiv

Frauentag 1930

„Also auch wenn man das Bedienen antisemitischen Vorurteile wirklich nicht gutheißen kann, so haben sie im Dreiklang die Zustimmung ihrer Fraktionen zur Ko-Edukation erreicht – an der Parteiräson vorbei. Das sind so kleine parteiübergreifende Koalitionen, die es dann später, in den 1930er-Jahren, also in der letzten demokratischen Legislaturperiode von 1930 bis 34 überhaupt nicht mehr gegeben hat“, so Gabriella Hauch.

Bitteres Ende

Hildegard Burjan wird nur ein Jahr im österreichischen Parlament vertreten sein. Nach antisemitischen Anfeindungen aus der eigenen Partei geht sie einen spirituellen Weg, widmet sich karitativen Projekten, gründet Hilfsvereine und den Schwesternorden „Caritas Socialis“. Adelheid Popp bleibt Mitglied des Parlaments bis zu dessen Auflösung 1933 durch die Austrofaschisten.

Gemeinsam ist ihnen, dass sie beide bis zum Schluss von ihrer Vision geträumt haben, sagt Gabriella Hauch, Co-Autorin des neuen wissenschaftlichen Standardwerks „Sie meinen es politisch. 100 Jahre Frauenwahlrecht in Österreich":“ Sie waren erfolgreich, beide auf ihre Art, beide haben eines halt nicht erreicht: Adelheid Popp die Welt „auf dem hellen Weg in den Sozialismus“ und Hildegard Burjan „die Harmonie einer Gesellschaft, in der alle katholisch sind.“

Josef Glanz, ORF-Wissenschaft

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