Blauwale haben „Stammlokal“

Blauwale haben nicht nur ein großes Hirn, sondern auch ein gutes Gedächtnis. Sie erinnern sich, wo es viel Futter gab, und kehren dann immer wieder dorthin zurück. Neue Nahrungsquellen beeindrucken sie weniger.

Ein Blauwal wiegt etwa so viel wie 25 Elefanten – und die Meeressäuger sind auch bezüglich ihrer Gedächtnisleistung mit den Dickhäutern vergleichbar. Wie ein Team um Briana Abrahms und Daniel Palacios von der Oregon State University herausgefunden haben, verlassen sich Blauwale bei der Futtersuche eher auf ihr gutes Gedächtnis als auf Hinweise aus der Umwelt. Für eine soeben publizierte Studie haben die Forscherinnen und Forscher die Bewegungen von 60 Blauwalen im Nordpazifik über zehn Jahre verfolgt. Die Analyse zeigt: Auch wenn neue Futterstellen entstehen, lassen die Wale diese eher links liegen und steuern lieber altbekannte Gebiete an.

Langzeitgedächtnis bestimmt Entscheidungen

Blauwale verbringen den Winter in wärmeren Meeren. Im Frühling ziehen sie in kühlere Gewässer, wo es dann mehr von ihrer Lieblingsspeise, den Krillkrebsen, gibt. Die untersuchten Wale ziehen jedes Jahr im Frühling vom Golf von Kalifornien entlang der amerikanischen Westküste über den Kalifornienstrom bis zum Golf von Alaska. Bei dieser Reise setzen sie auf Bewährtes: Laut der Studie timen sie den Zeitpunkt ihrer Wanderung so, dass sie genau dann an den ihnen bekannten Futterstellen sind, wenn es ihrer Erfahrung nach am meisten Krill gibt. Weil sie etwa 80 bis 90 Jahre alt werden, können sie dabei auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen.

Dass Tiere ihre Wanderbewegungen an die Verfügbarkeit von Futter anpassen, ist bekannt. „Vom Rentier in der Arktis bis zum Gnu in der Serengeti-Wüste richten viele Landtiere das Tempo und Timing ihrer Migration danach, wo sie Futter finden und wandern nicht einfach, um von A nach B zu kommen“, erklärt Studienautorin Briana Abrahms in einer Aussendung.

Klimawandel gefährdet Strategie

Bei Meeresbewohnern gab es dazu bisher wenig Wissen, so die Autoren. Anscheinend verfolgen Blauwale aber dieselbe Strategie wie viele Landtiere. Mit einem Unterschied: Sie lassen sich nicht davon leiten, wo es in der aktuellen Saison am meisten Nahrung gibt, sondern verlassen sich auf ihr ausgezeichnetes Gedächtnis. „Die hochintelligenten Wale planen ihre Routen basierend auf ihren Erwartungen, wo und wann Essen zu finden sein wird“, erklärt Abrahms. An saisonale und lokale Veränderungen passen sich die Wale, anders als andere Tiere, nur minimal an. Ergiebige Futterstellen landen daher erst nach mehrjähriger Erfahrung auf der Landkarte der Wale.

Grundsätzlich funktioniert diese Strategie, angesichts des Klimawandels könnte sie den Blauwalen aber zum Verhängnis werden. Denn mit der Klimaerwärmung verändern sich auch die Ozeane. “Unsere Studie legt nahe, dass Blauwale sich nur schwer an neue, also extremere oder stärker schwankende Bedingungen anpassen können, die sie nicht aus der Vergangenheit kennen“, erklärt Studienautorin Abrahms gegenüber science.ORF.at. Das wirft die Frage auf, wie die Wale reagieren werden, sollte das Futterangebot in Zukunft stärker von ihren Erwartungen abweichen.

Julia Geistberger, science.ORF.at

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