Spinne frisst Beutelratte

Bei Expeditionen im Amazonas-Regenwald sind Biologen auf grausige Szenen gestoßen: Riesige Spinnen und Hundertfüßer machen dort Jagd auf Wirbeltiere - darunter Beutelratten, Frösche und Schlangen.

Arachnophobikern sei an dieser Stelle empfohlen, sich das mit dem Weiterlesen noch einmal zu überlegen. Denn was Forscher um den US-Zoologen Rudolf von May da im Fachblatt „Amphibian & Reptile Conservation“ zu berichten haben, ist in der Tat nichts für schwache Nerven. Ort des Geschehens: eine Tropen-Forschungsstation in der Region Madre de Dios im Südosten von Peru.

Rund um die Los Amigos Biological Station streifen May und sein Team schon seit mehr als zehn Jahren durch das tropische Dickicht, um die Artenvielfalt in diesem unberührten Ökosystem zu dokumentieren. Im Zuge dieser Wanderungen überraschten sie eines Nachts ein Raubtier bei der Jagd.

„Ich hörte ein Rascheln im Laub“, erzählt Michael Grundler, ein Co-Autor der Studie. „Und als ich dorthin schaute, erblickte ich eine tellergroße Tarantel. Sie hatte ein Opossum gepackt. Eine halbe Minute später hörte das Opossum auf zu zucken. Ich konnte es nicht glauben, ich war schockiert.“

Dies war nicht der einzige Fall dieser Art. Wie die Biologen in ihrer Studie schreiben, stehen Spinnen und andere Gliederfüßer in diesem Bereich des tropischen Regenwalds an vorderster Position der Nahrungskette. Raubtiere sind sie in unseren Breiten streng genommen zwar auch - nur machen die tropischen Gliederfüßer Jagd auf ganz andere und vor allem viel größere Beute: Auf ihrem Speiseplan stehen nebst Beutelratten auch Fledermäuse, Frösche, Schlangen und Echsen.

Kammspinne frisst Pfeiffrosch

Pascal Title, in Amphibian & Reptile Conservation

Kammspinne und ihre Beute: der Pfeiffrosch Leptodactylus didymus

Einmal beobachteten die Wissenschaftler einen Hundertfüßer, der soeben dabei war, eine junge Korallenotter zu fressen. „Korallenottern sind gefährlich, sie können Menschen töten“, sagt Joanna Larson, ein Mitglied der Forscherteams. „Diese Hundertfüßer sind wirklich furchterregende Tiere.“ Dass sie sogar Giftschlangen zur Strecke bringen können, war bis dato unbekannt. Groß genug sind sie jedenfalls: Der Brasilianischer Riesenläufer, der größte Vertreter dieser Gruppe, erreicht eine Körperlänge von 26 Zentimetern.

Wohngemeinschaft: Taranteln und Frösche

Freilich fällt nicht alles, was die Forscher an Befunden über dieses Ökosystem zusammengetragen haben, in die Kategorie „Fressen und gefressen werden“. Ein Kapitel über Symbiosen enthält die Studie auch - und auch hier lohnt sich die Lektüre: May und sein Team haben Erdhöhlen entdeckt, in denen Taranteln und Engmaulfrösche friedlich nebeneinander leben, also eine Art Wohngemeinschaft auf engstem Raum bilden. Das ist deswegen bemerkenswert, weil sich diese Spinne, Gattung Pamphobeteus, eigentlich von Fröschen ernährt. Nur ihre Mitbewohner sind für sie offenbar tabu. Warum, ist unbekannt.

Robert Czepel, science.ORF.at

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