Feinstaub noch schädlicher als gedacht

8,8 Millionen vorzeitige Todesfälle gehen weltweit jährlich auf verschmutzte Luft zurück und damit mehr als auf das Rauchen. Das zeigen neue Berechnungen. Die Forscher schätzen vor allem das Risiko durch Feinstaub noch kritischer ein als bisherige Studien.

Es sei vorweggenommen: Diese Hochrechnungen aus dem Jahr 2015 bedeuten nicht, dass damals tatsächlich 8,8 Millionen Menschen direkt an den Folgen von zu hoher Feinstaubbelastung gestorben sind - es handelt sich um eine statistische Größe. Sie gibt an, wie groß das Risiko von schlechter Luft für die Gesundheit ist, erklärt der Chemiker Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut in Mainz. „Das Gesundheitsrisiko ist vergleichbar mit jenem von Bluthochdruck oder Rauchen.“ Zum Vergleich: Beim Rauchen geht man von 7,8 Millionen vorzeitigen Todesfällen aus.

„Risiko doppelt so hoch“

Anders ausgedrückt rechnen die Forscher damit, dass die Lebenserwartung in Europa durch die hohe Feinstaubbelastung im Durchschnitt um mehr als zwei Jahre verkürzt wird. Damit schätzen sie das Gesundheitsrisiko deutlich höher als andere Forscher in den Jahren zuvor. Der Grund dafür seien unter anderem bessere Rechenmodelle sowie eine bessere Datenlage.

So gibt es nun mehr Studien, die die konkreten gesundheitlichen Folgen von Feinstaub untersucht haben. Demnach weiß man, dass auch schon niedrige Feinstaubmengen aus Verkehr, Landwirtschaft und Industrie die Gesundheit beeinträchtigen können. Je mehr Feinstaub wiederum, desto größer die Gefahr, erklärt der Kardiologe Thomas Münzel von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. „Die wichtigsten Erkrankungen als Folge von Feinstaub sind die koronare Herzerkrankung und der Schlaganfall, die fast 50 Prozent der Erkrankungen ausmachen. Wir wissen auch, dass Feinstaub zu mehr Herzschwächen und Herzrhythmusstörungen führen kann und dass es auch Risikofaktoren wie Bluthochdruck und Diabetes triggern kann.“

Die trübe Luft über Paris

LIONEL BONAVENTURE / AFP

Die trübe Luft über Paris

Ausgelöst werden diese Erkrankungen, indem die kleinen Feinstaubteilchen (PM2,5-Feinstaub) eingeatmet werden und dadurch in die Blutgefäße eindringen können. Dort können sie die Gefäße verkalken. Damit schädigen die Partikel Blutgefäße auf eine ähnliche Weise wie Rauchen, Bluthochdruck und Diabetes, so Münzel. Gefährlich ist das vor allem für all jene, die bereits ein erhöhtes Risiko für Herzkreislauferkrankungen haben. „Man muss damit rechnen, wenn jemand schon Herzkreislaufrisikofaktoren hat, und dann kommt der Feinstaub als zusätzliche Belastung dazu, beschleunigt das den Prozess der Gefäßverkalkung deutlich.“

Niedrigere Werte wie in USA und Australien gefordert

Die Autoren fordern deshalb, dass die Grenzwerte für die erlaubte Feinstaubbelastung in Europa erheblich gesenkt werden. Ein Beispiel solle man sich etwa an den USA (12 Mikrogramm/Kubikmeter), Kanada (zehn Mikrogramm/Kubikmeter) und Australien (acht Mikrogramm/Kubikmeter) nehmen. Sie orientieren sich an der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (zehn Mikrogramm/Kubikmeter), ihre Grenzwerte sind damit sogar weniger als halb so hoch wie in Europa (25 Mikrogramm/Kubikmeter).

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmete sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 12.3. um 12.00

„Anders als beim Rauchen oder bei Bluthochdruck haben wir bei Luftverschmutzung das Problem, dass man sich nur geringfügig selbst davor schützen kann. Man ist dem einfach ausgeliefert. Das heißt, man kann das Risiko nur verringern, wenn die Konzentrationen von Feinstaub allgemein nicht zu hoch sind.“ Dafür brauche es aber politische Maßnahmen, so der Chemiker Jos Lelieveld.

Es ist nicht das erste Mal, dass Forscher das Risiko von Feinstaub berechnet haben. Dabei schwanken die Ergebnisse doch deutlich. Kamen die Forscher, darunter auch Lelieveld selbst, 2015 noch auf drei Millionen vorzeitige Todesfälle weltweit, rechnete die WHO 2018 mit sieben Millionen Toten im Jahr.

Geht es nach dem Chemiker, ist auch bei den aktuellen Modellen nicht ausgeschlossen, dass das tatsächliche Risiko noch stärker unterschätzt wird oder sogar dramatisch überschätzt wird. „Was macht es aber in der Diskussion schon aus, ob wir über drei, sieben oder neun Millionen Menschen sprechen. Oder wie in der EU über 400.000 oder 600.000. Das muss für die Maßnahmen doch eigentlich ziemlich egal sein. 400.000 sind 400.000 zu viel, und 600.000 sind noch einmal 200.000 mehr zu viel. Das sind Zahlen, die in der Hinsicht nicht besonders relevant sind.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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