Jungbrunnen des Gehirns entdeckt

Lange war es umstritten, mittlerweile ist klar: Auch das erwachsene Gehirn kann neue Nervenzellen bilden. Forscher haben nun bei Mäusen die Quelle entdeckt: Stammzellen, die kontinuierlich neue Neuronen entwickeln. Der Fund könnte die Demenzforschung revolutionieren.

Früher stand in den Lehrbüchern, dass alle Nervenzellen des Gehirns bereits bei der Geburt angelegt sind. Dass das Gehirn doch in der Lage ist, neue Neuronen zu bilden, zeigten Forscher in den 1960ern zunächst an Nagetieren, seit Ende der 1990ern mehren sich die wissenschaftlichen Belege, dass auch beim erwachsenen Menschen die sogenannte Neurogenese, also die Entwicklung neuer Nervenzellen stattfindet - und zwar in zwei Hirnregionen, im Riechkolben und im Hippocampus.

Eine aktuell in „Nature“ erschienene Studie zeigt einmal mehr, dass Neurogenese beim Menschen vorkommt – und zwar bis ins hohe Alter. Ein Team um María Llorens-Martín von der Autonomen Universität Madrid hat dazu Gewebeproben des Gehirns von 58 verstorbenen Patienten untersucht. Die Forscher haben dort unreife, also neu gebildete Neuronen im Hippocampus entdeckt – bei Probanden bis zu 87 Jahren. Zwar nimmt die Neurogenese mit dem Alter ab, sie hört aber nicht auf, wie die Studie zeigt.

Mikroskop-Aufnahmen der Neuronen produzierenden Stammzellen (grün) im Gehirn erwachsener Mäuse

Daniel A. Berg and Allison M. Bond

Mikroskop-Aufnahmen der Neuronen produzierenden Stammzellen (grün) im Hippocampus erwachsener Mäuse

Lebenslange Entwicklung des Hippocampus

Neuronen entstehen aus Stammzellen oder Vorläuferzellen. Wie genau, ist aber noch nicht geklärt. Neurowissenschaftler der Universität Pennsylvania haben dazu nun einen Beitrag geleistet, wie sie im Fachjournal „Cell“ berichten: Bei Mäusen konnten sie jene Stammzellen identifizieren, aus denen sich neue Nervenzellen entwickeln. „Wir konnten zeigen, dass es eine Linie von Stammzellen im Hippocampus ist, die vom embryonalen bis zum erwachsenen Gehirn vorhanden ist und kontinuierlich Neuronen bildet“, erklärt Studienautor Hongjun Song gegenüber science.ORF.at.

Neu gebildete Neuronen haben eine wichtige Funktion: Sie tragen zur Plastizität des Gehirns bei, ermöglichen also, dass es sich neu vernetzt, etwa um Informationen zu verarbeiten oder um Schädigungen auszugleichen. „Diese neuen, unreifen Neuronen sind flexibler als ältere, sie können leichter Verbindungen herstellen. Das ist wichtig beim Lernen, für das Gedächtnis und für die Stimmung“, erklärt Song.

Die Studie zeige erstmals, dass eine gemeinsame Vorläuferzellenart ist, welche die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus antreibt – sowohl im Entwicklungsstadium des Hirns, also bei Embryonen und kurz nach der Geburt, als auch im Erwachsenenalter. Durch die Neurogenese wird die Plastizität des Hippocampus also ein Leben lang aufrechterhalten, wie die Mäusestudie zeigt. „Die Ergebnisse legen nahe, dass unser Hirn fähig ist, sich ständig zu verbessern, zu adaptieren und neue Zellen in seine Schaltkreise zu integrieren“ so der Neurowissenschaftler.

Neurogenese gezielt stimulierbar?

Wenn die Neurogenese so wichtig ist für das alternde Gehirn, stellt sich die Frage, ob man die Neuronenbildung gezielt stimulieren kann. Auch hier sind es vor allem Tierstudien, die Antworten geben. Bei Mäusen führt etwa körperliche Aktivität zur Bildung von Neuronen, auch Antidepressiva regten in Mäusestudien die Neurogenese an. Stress hingegen verringerte die Anzahl neuer Neuronen. Dass das auch für Menschen gilt, ist naheliegend, aber nicht eindeutig belegt, meint Hongjun Song gegenüber science.ORF.at. Weil Gewebeproben des menschlichen Hirns rar sind, ist es deutlich schwieriger, hier einen kausalen Zusammenhang zu überprüfen.

Die Neurowissenschaftlerin Sandrine Thuret vom King’s College London ist hingegen überzeugt, dass man die Neurogenese auch beim Menschen beeinflussen kann. In einem Vortrag erläutert sie, wie man die Neuronenbildung selbst in die Hand nehmen kann: Etwas Neues zu lernen, Bewegung, Sex und eine bestimmte Ernährung fördern demnach die Bildung von Neuronen, Stress, Schlafmangel und Alkohol verringern sie. Tatsächlich haben all diese Faktoren laut zahlreichen Studien (etwa hier oder hier) einen Einfluss auf das Gedächtnis – ob tatsächlich die Neurogenese dafür verantwortlich ist, bleibt noch genauer zu klären.

Mikroskop-Aufnahmen der Neuronen produzierenden Stammzellen (grün) im Gehirn erwachsener Mäuse

Daniel A. Berg and Allison M. Bond

Möglicher Faktor bei Alzheimer

Die Neurogenese dürfte die Wissenschaft also weiter beschäftigen – auch hinsichtlich ihrer Rolle bei Demenzerkrankungen. Aktuell fokussiert etwa die Forschung zur Alzheimer-Therapie eher auf die krankmachenden Proteine, die sich im Gehirn ansammeln. Wie die eingangs erwähnte spanische Studie mit Gewebeproben von Menschen zeigt, sinkt bei Patienten mit Alzheimer die Anzahl der neuen Neuronen verglichen mit neurologisch gesunden Patienten signifikant. Das deutet darauf hin, dass eine gehemmte Neurogenese ein Faktor sein könnte, der zu Alzheimer beitragen kann.

Die Forscher aus Pennsylvania wollen als nächstes herausfinden, ob die gleichen Stammzellen, die sie bei Mäusen identifiziert haben, auch bei anderen Säugetieren und vor allem beim Menschen vorkommen. Das Ziel wäre es, die Erkenntnisse in Zukunft therapeutisch einsetzen zu können: „Die Studie gibt Hinweise darauf, was das Gehirn jung hält, wie man das Gedächtnis und die Lernfähigkeit erhalten könnte“, so Co-Autorin Guo-Li Ming. „Wenn man diesen Mechanismus nutzen kann, könnte man in der Lage sein, Teile des Gehirns zu regenerieren oder reparieren.“

Julia Geistberger, science.ORF.at

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