Besteht Wasser aus zwei Flüssigkeiten?

Oberflächlich betrachtet ist Wasser ziemlich einfach gebaut – doch im chemischen Detail birgt das Molekül H2O so manches Mysterium: Jetzt mehren sich die Hinweise, dass Wasser aus zwei Flüssigkeiten bestehen könnte.

Feststoffe sind dichter als Flüssigkeiten. Normalerweise. Wasser ist in dieser Hinsicht „anomal“, wie die Chemiker sagen, hat es doch bei vier Grad Celsius seine höchste Dichte, also im flüssigen Zustand. Das ist der Grund, warum Eis auf Wasser schwimmt.

Neben dieser Dichteanomalie besitzt Wasser auch sonst eine Reihe von auffälligen bis unorthodoxen Eigenschaften, die nach einer Erklärung rufen. Liegt es vielleicht daran, dass Wasser ganz anders ist als bisher gedacht – nämlich zwei Flüssigkeiten in einer? Das ist der Kern einer Hypothese, die Wissenschaftler seit Mitte der 1980er-Jahre diskutieren.

Thomas Lörting von der Universität Innsbruck hat bei tiefen Temperaturen bereits einige Belege für dieses Zweiflüssigkeitsmodell gesammelt. Nun berichtet der Chemiker im Fachblatt „PNAS“, unter welchen Rahmenbedingungen ein eindeutiger Nachweis gelingen könnte.

Zwei Erscheinungsformen

Wie der Lörting in seiner Studie schriebt, kühlte er in seinem jüngsten Experiment Wasser in einem Zylinder stark ab und setzen es sehr hohem Druck aus. Dabei entstanden je nach Herstellungsmethode unterschiedliche Formen von amorphem Eis – Eis also, das keine kristalline Grundstruktur aufweist. Als er diese Eisvarianten bei einem Druck von bis zu 3.000 bar langsam erwärmte, entstand in jedem Versuch derselbe Zustand: hochdichtes, flüssiges Wasser („HDL“).

Künstlerische Darstellung: verbände von Wassermolekülen

Hirohito Ogasawara, Stanford University

Zwei Flüssigkeiten in einer - Wasser ist vermutlich komplexer als angenommen

Damit sei nun der Beweis erbracht, dass „HDL“ zwischen 1.000 und 3.000 bar thermodynamisch stabil ist, so Lörting. „Hätten wir bei 1.000 bar kein hochdichtes, flüssiges Wasser isolieren können, wäre die Theorie von den zwei Flüssigkeiten obsolet gewesen.“ Die neue Erkenntnis erlaubt den Forschern, nun einen Schritt weiter zu denken: Möglicherweise schaltet Wasser durch minimale Änderung von Druck und/oder Temperatur von der hochdichten zur niederdichten Flüssigkeit um - und wieder zurück. „Der ultimative Beweis für das Zweiflüssigkeitsmodell ist nun in greifbare Nähe gerückt“, sagt Lörting

So ein Beweis hätte auch Konsequenzen für ganz normales Leitungswasser: Denn auch in diesem Zustand sollte das Wasser aus zwei unterschiedlich dichten Erscheinungsformen bestehen. Weil sich bei Raumtemperatur die Moleküle ultraschnell bewegen, wären diese allerdings nicht mehr voneinander zu trennen. Jedenfalls könnten die zwei Erscheinungsformen auch die besonderen Eigenschaften des Wassers erklären. Dem Modell zufolge sollte nämlich der Anteil des dichten Wassers bei vier Grad Celsius am höchsten sein.

science.ORF.at/APA

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