Technologie verbessern, ohne sie zu verstehen

Man muss nicht alles verstehen, Hauptsache es funktioniert – war wohl ein Motto der menschlichen Evolution. Eine Studie zeigt: Auch ohne Verständnis werden Technologien von Generation zu Generation immer besser.

Dass sich der Mensch so erfolgreich auf diesem Planeten ausgebreitet hat, verdankt er auch seiner Technologie. Schon früh entwickelte er Werkzeuge: Zu Beginn waren es einfache Steingeräte wie Faustkeile, mit der Zeit wurden sie immer ausgeklügelter und komplizierter, wie etwa Pfeil und Bogen. Schon tausende Jahre alte Höhlenmalereien zeigen Abbildungen von Bogenschützen. Das Jagdgerät ist fast geräuschlos und kann große Distanzen überwinden. In dieser Technik steckt bereits recht viel Physik. Man könnte vermuten, dass unsere Vorfahren zumindest gewisse Zusammenhänge verstehen mussten, um so ein Ding überhaupt zu bauen.

Muss aber nicht sein, meinen nun die Forscher um Maxime Derex von der University of Exeter. Viele kleine Verbesserungen über viele Generationen können ebenfalls zu einem optimalen Produkt führen, schreiben sie in ihrer soeben erschienenen Studie. Und am Ende muss keiner wissen, warum das so gut funktioniert, geschweige denn die dahinterliegenden physikalischen Gesetze kennen.

Evolution im Labor

Dies ergaben zumindest die im Rahmen der Studie durchgeführten Experimente. Sie sollten technologische Weiterentwicklungen im Labor nachzeichnen. Konkret ging es um die Optimierung eines physikalischen Systems: ein Rad, das über eine ein Meter lange Rampe rollt. Das Rad besitzt vier Speichen – an jeder befindet sich ein verschiebbares Gewicht. Das Ziel: Das Rad sollte (durch Verschieben der Gewichte in die Mitte oder zum Rand der Speichen) möglichst schnell abwärts rollen. Fünf Generationen bzw. fünf Probanden durften sich hintereinander an der Verbesserung des Systems versuchen. Jeder einzelnen hatte fünf Versuche. Die letzten zwei Einstellungen (am Rad) waren für die nächste Generation (also Testperson in der Reihe) zu sehen.

Video zum Experiment

Laut den Autoren ist dieses Testsystem ideal: Das Problem ist für die meisten unbekannt, außerdem komplex genug, aber nicht so kompliziert wie etwa Pfeil und Bogen. Physikalisch sind zwei Dinge wichtig: Das Trägheitsmoment und der Massenmittelpunkt entscheiden, wie schnell das Rad rollen kann.

Das Problemverständnis wurde immer anschließend an die eigenen Versuche getestet. Dabei ging es nicht um physikalische Details. Die Probanden sahen lediglich zwei mögliche Anordnungen der Gewichte am Rad und sollten entscheiden, welche davon schneller war, z.B. sollte er oder sie erkennen, dass ein Rad, bei dem alle vier Gewichte in der Nähe der Achse waren, schneller ist als eines, bei dem sich alle vier am Rand der Speichen befanden. Insgesamt wurden zehn solche Paarungen abgefragt.

Ohne Verständnis

Nach 14 Testreihen werteten die Forscher die Ergebnisse aus. Tatsächlich wurden die Räder mit jeder Generation schneller, um ein Fünftel in nur vier Generationen - fast bis zur maximal möglichen Geschwindigkeit, schreiben die Studienautoren. Bei der Beantwortung der Verständnisfragen sah es ganz anders aus: Bis zur letzten Generation hatte anscheinend keiner begriffen, was zur Optimierung des Systems beigetragen hat.

Bei manchen Experimenten durften die Teilnehmer auch theoretische Erklärungen an die nächste Generation weitergeben. Das änderte allerdings nicht wirklich viel am Weiterentwicklungsprozess, berichten die Forscher. Es hielt die Teilnehmer eher vom Experimentieren ab und verstellte den Blick auf andere nicht in der übermittelten Theorie enthaltenen Verbesserungsmöglichkeiten.

Jedenfalls zeigen die Experimente, dass man bei der Interpretation von archäologischen Artefakten vorsichtig sein muss, betonen die Autoren. Man könne von komplexen Werkzeugen nicht automatisch auf die kognitiven Fähigkeiten der Erzeuger schließen. „Natürlich ist Intelligenz wichtig“, meint dazu Koautor Rob Boyd von der Arizona State University in einer Aussendung. Aber sie reicht nicht aus. „Unsere Fähigkeit voneinander zu lernen, ermöglicht die kumulierte kulturelle Evolution von Technologien, die - wenn überhaupt - nur teilweise verstanden werden."

Eva Obermüller, science.ORF.at

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