Klimakatastrophen als Kriminalfälle

Der Klimawandel erhöht das Risiko für Katastrophen wie Überschwemmungen. Solche Ereignisse gehören forensisch untersucht, um nächstes Mal besser vorbereitet zu sein, sagt ein Risikoforscher vor der Generalversammlung der European Geosciences Union.

„Vor allem die menschliche Seite der Ursachen von einzelnen Naturkatastrophenereignissen wurde bis dato von der Wissenschaft noch ungenügend systematisch untersucht“, erklärt Reinhard Mechler vom Internationalen Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg bei Wien gegenüber der APA. Nach einer Überschwemmung würden vor allem die Hydrologen und Meteorologen den Vorfall unter dem Aspekt analysieren, welche Rolle der Klimawandel gespielt hat. Nun würden sich verstärkt auch Sozialwissenschaftler dem Thema widmen, was früher zu wenig der Fall war.

Dabei spiele der Mensch eine große Rolle, ob aus einer Naturgefahr wie einer Überschwemmung überhaupt eine Katastrophe wird, zum Beispiel indem er sich in Au- und Ufergebieten ansiedelt oder ob er ein geeignetes Katastrophenmanagement schafft oder nicht. Bei vielen Maßnahmen sei die Effektivität in einem sich wandelnden Klima außerdem noch gar nicht ausreichend erfasst.

Menschlicher Anteil

In der Klimapolitik würde zu oft die Schuldfrage diskutiert und zu wenig gehandelt. Während nationale Klimaverhandler aus Schwellen-und Entwicklungsländern sich beschweren, der Klimawandel wurde hauptsächlich von den Industrieländern verursacht, aber vor allem den globalen Süden treffen, halten ihnen jene aus dem Norden gerne vor, dass sie nicht die nötigen Katastrophenreduzierungsstrukturen aufgebaut haben.

Mit dem katastrophen-forensischen (disaster forensics) Ansatz würde man beides mit verschiedensten Methoden wie Modellierung, Feldarbeit, Langzeitstudien und Befragungen der Betroffenen und Entscheidungsträger systematisch untersuchen, so Mechler: Wie die menschlichen Aktivitäten die Naturgefahren global verschärfen, und wie die Menschen lokal reagieren können, um ihnen nicht hilflos ausgeliefert zu sein.

Falsche Vorbereitung

Bei der EGUGeneralversammlung präsentiert Mechler die Ergebnisse der forensischen Untersuchung der El Nino Ereignisse von 2015 bis 2017 in Peru. Dieses Land ist eine der am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen und wird schon heute vermehrt durch Überschwemmungen heimgesucht, die mit dem von Menschen verursachten Klimawandel in Zusammenhang gebracht werden. In den Bergen schmelzen die Gletscher und die Erwärmung des äquatorialen Pazifik verstärkt Phänomene wie El Nino, wie die azyklisch veränderten Strömungsverhältnisse rund um die Weihnachtszeit genannt werden, die Starkregen an den Andenhängen bewirken.

„Für 2016 wurde ein besonders starker ‚El Nino‘ angesagt, der aber ausblieb“, so Mechler. In Erwartung einer Katastrophe habe man verschiedenste Maßnahmen getroffen, die zunächst fleißig und bemüht waren, aber zurückgefahren wurden, als die Katastrophe ausblieb. Ein Jahr später, im Frühjahr 2017, traf unvorhergesagt „El Nino Costero“ („Küsten-El Nino“) das Land. Dieses Starkregenereignis im Küstenbereich, das nichts mit dem eigentlichen El Nino-Effekt zu tun hat, brachte eine der größten Katastrophen, die Peru jemals getroffen haben, mit zahlreichen Todesopfern und schweren Schäden.

„Die Peruaner haben zwar viel gemacht, um auf das Nichtereignis 2016 vorbereitet zu sein, ein Jahr später stellten sich bei einem ähnlichen Ereignis die Anstrengungen aber als ungenügend heraus“, sagt Mechler. Die nationalen Behörden investierten zwar stark in die Sicherung und Optimierung der Flussläufe, regulierten und kontrollierten aber zum Beispiel zu wenig die Landnutzung, um Mensch und Kapital aus besonders gefährdeten Gebieten fernzuhalten.

Mehr Vorsorge

Die Politik in Peru habe jedoch Gesetze und Verordnungen verabschiedet, die proaktives Risikomanagement gegenüber reiner Katastrophennachsorge verstärken. Dies sei ein guter Schritt, denn weltweit würde man immer noch viel zu oft nur auf Vorfälle reagieren, statt proaktiv vorzusorgen, meint Mechler. Dafür fehle es aber oft an Geld. „Um die begrenzten Mittel effektiv einzusetzen, ist die vermehrte Einbindung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) zentral, die lokal mit den Gemeinden Vorsorgemaßnahmen treffen, um deren Vulnerabilität zu senken“, sagt er. In Peru würden vor allem lokale Selbsthilfe-Komitees unterstützt, die für Frühwarnung, Erste Hilfe, Obdach und Nothilfe Sorge trügen. Auch die Wissenschaft sucht vermehrt die Hilfe solcher Partner, so Mechler, der seine forensischen Arbeiten mit der „Zurich Flood Resilience Alliance“ durchführt.

Die „Generalversammlung der European Geosciences Union (EGU)“ findet vom 7. bis 12. April im Austria Center in Wien statt. Rund 14.000 Geo- und Sozialwissenschaftler aus aller Welt präsentieren dabei neue Forschungsergebnisse etwa zu den Themen Klima, Atmosphäre, Plastik-Verschmutzung, Erdbeben, Vulkanismus, Überschwemmungen und präsentieren Fortschritte des europäischen Raumsondenprojekts „ExoMars“.

science.ORF.at/APA

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