Jetlag könnte vor Demenz schützen

Studien über die medizinischen Nachteile des Jetlags gibt es zuhauf. In die gegenteilige Richtung weist nun eine Studie von Neurobiologen: Für demenzkranke Fliegen könnte der Jetlag sogar heilsam sein. Warum, bleibt unklar.

Wenn ein Experiment genau das Gegenteil von dem ergibt, was man eigentlich erwartet, dann greifen Wissenschaftler gerne zum Wörtchen „kontraintuitiv“. So etwa Ravi Allada. „Es mag kontraintuitiv klingen, aber ein bisschen Stress ist offenbar gut“, sagt der Neurobiologe von der Northwestern University in Evanston, Illinois. Der Stressfaktor, von dem Allada spricht, ist die künstliche Verkürzung des Tages von 24 auf 20 Stunden. Also quasi ein experimenteller Jetlag.

Experiment simuliert Jetlag

Die Vorgeschichte: Dass es einen Zusammenhang zwischen neurodegenerativen Krankheiten und der inneren Uhr gibt, ist schon länger bekannt. Manche Demenz-Patienten können nicht schlafen, andere schlafen zu viel, manche entwickeln eine exzessive Neigung zum Schlafwandeln, kurzum: All diese Probleme weisen darauf hin, dass im Gehirn der Patienten etwas nicht stimmt. Die Frage ist nur: Ist dies Folge oder Ursache der Krankheit?

Um diesem Zusammenhang auf den Grund zu gehen, führte Allada Versuche mit an Chorea Huntington erkrankten Fliegen durch. Beim Menschen führt die Erbkrankheit zum Absterben von Nervenzellen, zu fortschreitender Demenz und schließlich – nach durchschnittlich 15 Jahren – zum Tod der Patienten. Eine Heilung gibt es bis heute nicht.

Die per Mutation demenzkrank gemachten Fliegen setzte Allada jedenfalls einem verkürzten Tag-Nacht-Rhythmus aus, „Chronostress“ nennt das der Forscher. „Im Grund haben wir die Fliegen mit einem Dauerjetlag von vier Stunden ausgestattet“, sagt Allada. „Es war so, als würden sie jeden Tag ihres Lebens eine längere Flugreise Richtung Osten unternehmen.“

Resultat: Symptome bessern sich

Zu erwarten wäre gewesen, dass diese Maßnahme alles schlimmer macht. Doch das Gegenteil war der Fall. Wie Allada im Fachblatt „Cell Reports“ schreibt, besserten sich vielmehr die Symptome der Fliegen, die Rate der absterbenden Nervenzellen nahm ab, ebenso die Menge an schädlichen Proteinen, die sich bei Chorea Huntington im Gehirn ansammeln.

Fruchtfliege Drosophila in Großaufnahme

Qinyang Li

Demente Fruchtfliegen scheinen vom Jetlag zu profitieren

Als Allada später bei den Fliegen einen Regler der inneren Uhr, das sogenannte Hop-Protein, hemmte, fand er einen ähnlichen Zusammenhang. Das Protein ist unter anderem für die korrekte Faltung von anderen Proteinen verantwortlich, wäre also eigentlich recht wichtig. Dennoch schienen die kranken Fliegen von diesem Eingriff zu profitieren. Auch hier besserten sich die Symptome.

Warum Stress für die ohnehin schon kranken Fliegen gut ist, bleibt unklar. „Wir können ausschließen, dass die innere Uhr der Fliegen in der Evolution etwas mit Chorea Huntington zu tun hatte“, sagt Allada gegenüber science.ORF.at. Bei dem Effekt handle es sich also um keine biologische Anpassung – was freilich nicht bedeutet, dass man den Zufallsfund nicht auch für therapeutische Zwecke verwenden könnte. Über Anwendungen am Menschen mag der Neurobiologe allerdings noch nicht spekulieren. Er bleibt bis auf weiteres beim Tiermodell: Als nächstes will der Forscher von der Northwestern University an Alzheimer erkrankte Fliegen verwenden – und herausfinden, ob auch hier der Jetlag eine heilsame Wirkung hat.

science.ORF.at

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