Linke Frauen gegen linke Männer

Wenn der Philosoph Slavoj Zizek auftritt, strömen die Massen herbei. So auch Mittwochabend in Wien. Diesmal kam es sogar zu einer Gegenveranstaltung. Ein Rückblick auf beide Diskussionen verrät viel über den Zustand der Linken heute.

Der linksradikale, sich als Kommunist begreifende Zizek hatte vor Kurzem dank eines Artikels in der „NZZ“ wieder einmal den Unmut vieler Feministinnen auf sich gezogen. Die Entzauberung der weiblichen Geschlechtsorgane sei unsexy, so die sehr verkürzte These, worauf Feministinnen in Sozialen Medien konterten, dass der slowenische Philosoph selbst nicht so sehr sexy aussehe.

Vor diesem Erregungshintergrund fanden Dienstabend in Wien zwei Veranstaltungen statt. Die erste, schon lange geplant, im Rahmen der Reihe „Talk Europe“, veranstaltet von der Parteiakademie der „Liste Jetzt“ und mit dem Stargast Slavoj Zizek; die andere, quasi die Gegenveranstaltung, unter dem Titel „Talk Patriarchy“, organisiert von den Macherinnen des Frauenvolksbegehrens. Hübsche Pointe: Beide Veranstaltungen liefen zeitgleich und in unmittelbarer Nähe auf dem Gelände des ehemaligen Schlachthofs in Wien St. Marx ab. science.ORF.at hat beide parallel besucht und danach Gemeinsamkeiten und Unterschiede skizziert – die Teile der zweiten Veranstaltung sind kursiv gesetzt.

Das Podium von "Talk Europe"

Maya McKechneay, ORF

Das Podium von „Talk Europe“

Entree: Homogen vs. Homogener

Das Motto der „Talk Europe“-Veranstaltung war groß über dem Podium projiziert: „Disorder under Heaven“ („Chaos unter dem Himmel“), ein verkürztes Mao-Zitat. Darunter der Hashtag #OffeneGesellschaft“. Im leichten Widerspruch dazu die Einlasspolitik im Marxpalast: Journalisten und geladene Gäste fanden als erste von der Rückseite Einlass, alle anderen später, von vorne. Die Sessel in den ersten drei Reihen des Saales waren zudem mit Schildern für „VIP & Presse“ reserviert. Das Publikum jedenfalls war, wie sich an Applaus und Gelächter zeigte, gekommen, um Slavoj Zizek zu hören: Studierende, aber auch ältere Semester, und etwa ebenso viele Frauen wie Männer. Die rund 300 Gäste trugen es mit Fassung, dass Publikumsfragen zwar eingangs in Aussicht gestellt, am Ende dann aber doch nicht zugelassen wurden. Die Podiumsteilnehmer selbst wurden von Renee Schröder, der Organisatorin der Veranstaltungsreihe, angekündigt. Sie sprach die Parteivorsitzende in der ersten Reihe als „Maria Pilz“ an – ohne den eigenen Fehler zu bemerken.

Die „Gegenveranstaltung“ fand einen Steinwurf entfernt in einem Gebäude des Vienna Biocenter statt. Da der Ort nicht ausgeschildert war, erreichten ihn die meisten erst nach einer heiteren Suchrally. Anwesend unter dem Titel „Disorder under hell“, quasi einem Anti-Mao-Zitat: zu rund 90 Prozent Frauen, ergänzt durch auffallend farbenfroh gekleidete Männer. 1.500 wollten sich laut Facebook anmelden, der Konferenzraum war mit etwa 100 Personen dann gut gefüllt. Nach einer kurzen Vorstellung durch die Organisatorinnen des Frauenvolksbegehrens und dem Hinweis, dass frau eine Alternative zum komplett homogenen Podium nebenan anbieten wollte, ging es los: mit vier Frauen am Podium, die ehemalige grüne Nationalratsabgeordnete Sigrid Maurer, "Anschläge“-Redakteurin Lea Susemichel, „fresh“-Chefredakteurin Vanessa Spannbauer, und die Moderatorin Fanny Rasoul.

Das Podium von "Talk Patriarchy"

Lukas Wieselberg, ORF

Das Podium von „Talk Patriarchy“

Alte Männer reden viel und sterben aus

Eigentlich hätten bei „Veranstaltung 1“ drei Männer miteinander diskutieren sollen – so war es angekündigt: der Philosoph Robert Pfaller, der Politiker Peter Pilz und der slowenische Philosophie-Star Slavoj Zizek. Überraschend holte jedoch Pfaller als ersten Gast eine Frau aufs Podium: Die Psychoanalytikerin Judith Ransmayr, die er versehentlich mehrmals mit ihrem Geburtsnamen Kührmayr (Zitat Pfaller: „Mädchenname“) ansprach, um sich anschließend zu verbessern, war als „Spezialgast“ geladen worden, weil es in Sozialen Netzwerken „Stimmen gegeben hat, die beklagt haben, dass drei weiße alte Männer hier sitzen“ (Pfaller). Ransmayr kam allerdings im Verlauf des Abends mit nur einem einzigen, kurzen Statement zu Wort und war dabei auch die einzige, die eine offene Frage formulierte („Die Rechten sind besser darin Identitätspolitik zu machen, warum können die Linken dieses Programm nicht aufgreifen?“). Ihre eigene Rolle beschrieb Ransmayr launig als die der „alten weißen Frau und Schutzpatronin von drei weißen Männern“. Die Redebeiträge von Pilz und Zizek waren weniger Diskussionsbeiträge als belehrende Statements, die kaum auf die Aussagen anderer Bezug nahmen. Entsprechend lauteten Zizeks abschließende Worte: „Sorry for talking too much.“

Es sei keine „Gegenveranstaltung“ hieß es einleitend und doch waren die Nachbarn, die man mehrfach „nicht nennen wolle“, ständig präsent. Nicht wissend, dass auch eine Frau am Podium nebenan saß, wurde gegen die dortigen „drei alten weißen Männer“ polemisiert. Aus dem Geiste der 68er-Bewegung kommend „halten sie sich noch immer für die Speerspitze der Revolution“, brachte Sigi Maurer die Stimmung auf den Punkt. „Aber sie sind alt, die werden nimmer lange leben“, sagte sie unter zustimmendem Gelächter aus dem Publikum. Und: „Das wird mir jetzt sicher als Gerontophobie ausgelegt.“ Das damit nicht zuletzt Peter Pilz gemeint war und die Abneigung offenbar auf Gegenseitigkeit beruht, wurde durch ihre Erinnerung an die Zeiten als Nationalratsabgeordnete klar, wo „Pilz es nicht länger als zehn Minuten an einem Tisch mit mir ausgehalten hat“. Nur eine Stunde dauerte die Diskussion, alle Teilnehmerinnen hielten sich genau an den Zeitplan, beantworten treffsicher die Fragen der Moderatorin, ließen einander höflich aussprechen und waren im Prinzip alle der gleichen Meinung. Ehe nach einer Pause die beiden Künstlerinnen Denice Bourbon und Stefanie Sargnagel für szenetypische Unterhaltung sorgten, war auch noch Zeit für eine Publikumsfrage. Eine junge Frau meldete sich zu Wort und fand es „schön, dass die alten Männer bald wegsterben würden“. Dem widersprach Vanessa Spannbauer, es würden ja neue nachwachsen - den alten Männern der Zukunft sei heute nur mit Erziehung vorzubeugen.

Was links ist: Dumme Denkverbote vs. …

Der etwa einstündige Vortrag von Slavoj Zizek kreiste um das Thema einer weltweit drohenden Katastrophe und wie diese abzuwenden sei. Er selbst sei Pessimist, so Zizek. Und das müsse man auch sein – als Konsequenz aber nicht verzweifeln und sich ins Schicksal ergeben, sondern erst recht handeln: „Wenn alles vorherbestimmt wäre, könnten wir gleich daheimbleiben und Porno schauen. Nein. Wir müssen uns der Krise stellen!“

Slavoj Zizek: Star des Abends und Stein des Anstoßes

Maya McKechneay, ORF

Slavoj Zizek: Star des Abends und Stein des Anstoßes

Europa sieht Zizek dabei als Chance, auch wenn „unter Linken derzeit eine anti-europäische Einstellung schick ist“. Zwischen gewohnt vielen Exkursen fiel es schwer, Zizek zu folgen. Als Hauptprobleme der Gesellschaft nannte er jedenfalls: die Ökologie, die freie Marktwirtschaft, der man nicht vertrauen sollte, und die Flüchtlingsströme, die wiederum Fundamentalisten und rechten Populisten den Nährboden bereiteten. Ein starkes Europa sei notwendig, aber nicht in seiner jetzigen, sondern in anderer, neuer Form. Hier verstanden sich Zizek und Peter Pilz, der berichtete, wie er bei den Grünen versucht habe, die „Flüchtlingskrise“ anzusprechen. „Wir sind damals überrollt worden!“ Doch das Wort „Flüchtlingskrise“ hätten ihm die Parteikolleginnen und –kollegen verboten: „Ein Sprech- und Denkverbot – für diese Dummheit haben die Grünen den politischen Preis bezahlt und sind aus dem Parlament geflogen.“ Überhaupt, so Pilz’ Resümee, brächten die Linken nichts zusammen, weil sie sich ausschließlich mit sich selbst befassen und dabei resignieren: „Ich kenne kaum Linke, die glauben, dass wir gewinnen können.“

… „30 Jahre Theorie verschlafen“

Das Patriarchat dominierte an diesem Abend nicht nur die Gesellschaft, sondern bei der „Veranstaltung 2“ auch den Vorwurf an „nebenan“. Linke und rechte Intellektuelle würden sich heute im rebellischen Gestus gegenüber dem Feminismus treffen, meinte Lea Susemichel – und bezog sich damit auch auf Zizek und Pfaller. Der aktuell beliebte Vorwurf, die Identitätspolitik – also die Reduktion auf den Standpunkt verschiedener Minderheiten und das Vernachlässigen der sozialen Frage – sei verantwortlich für den Vormarsch der Rechten, sei falsch. „Am Neoliberalismus ist sicher nicht der Feminismus schuld“, so Susemichel. Fazit: Die wahre Linke sei multikulturell und divers. Alles andere seien die Ideen alter weißer Männer, die die vergangenen 30 Jahre an Theorie verschlafen hätten. Eine Gesellschaft, die auf Egalität und Feminismus setzt, habe Vorteile für alle, auch für (alte weiße) Männer. Diese, so zeigten Studien, wären darin ebenfalls glücklicher und würden etwa weniger zu Herzinfarkten neigen.

Maya McKechneay, Lukas Wieselberg

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