Auf den Spuren der gemeinsamen Geschichte

Der gemeinsame österreichisch-tschechische Geschichte widmet sich ein neues Buch. Es soll zu einem besseren Verständnis zwischen den Nachbarländern beitragen. Unterschiedliche Interpretationen sorgten in den vergangenen Jahren regelmäßig für Misstöne.

Die Österreicher und Tschechen haben „lange Zeit eher nur nebeneinander als wirklich miteinander gelebt“, beschrieb der frühere tschechische Präsident Vaclav Havel das schwierige Verhältnis einmal. Besonders das 20. Jahrhundert hat die beiden Nachbarländer entfremdet. Diese Entfremdung begann bereits im gemeinsamen Staat, der Habsburgermonarchie, und führte nach dem Ersten Weltkrieg zur Geburt zweier junger Republiken. Trotz eines Teils durchaus guten Verhältnisses in der Zwischenkriegszeit durchlitt diese Nachbarschaft das Grauen des Nationalsozialismus und die daraus resultierende Nachkriegsgewalt und der Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei.

Buchhinweis:

„Nachbarn. Ein österreichisch-tschechisches Geschichtsbuch. Hrsg. v. Niklas Perzi, Hildegard Schmoller, Ota Konrad, Václav Šmidrkal. Wien 2019. 426 S. ISBN: 978-3-99028-817-7, Verlag „Bibliothek der Provinz“

Der Schwerpunkt des 400-Seiten-Werkes liegt daher auch auf der jüngeren Geschichte, die in großen Überblickkapiteln anschaulich dargelegt wird. In einem eigenen großen Kapitel werden die gegenseitigen Stereotype und der schwierige Umgang mit der gemeinsamen Geschichte behandelt. Darin werden auch die wechselseitige Vorurteile seit der gemeinsamen Zeit in der Habsburgermonarchie und die nationalen Traumata der Tschechen - die Schlacht am Weißen Berg 1620 und das Münchner Abkommen 1938 - behandelt.

Langer Weg

Der Weg zum nun fertigen Buch war lang. Bereits 2004 war das Projekt bei den österreichisch-tschechische Historikertagen in der Waldviertel-Akademie auf den Weg gebracht worden. 2009 wurde die Ständige Konferenz österreichischer und tschechischer Historiker zum gemeinsamen kulturellen Erbe (SKÖTH) gegründet. 21 Historiker aus beiden Ländern haben nun vier Jahre an dem Buch gearbeitet.

An jedem Beitrag war ein Autorenteam aus beiden Ländern beteiligt. Ziel war es nicht zwei parallele Nationalgeschichten zu präsentieren, sondern der gemeinsamen Geschichte nachzuspüren. Im Fokus stehen daher weniger Zahlen und Daten, sondern die großen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Das macht das Buch auch leicht lesbar. Stets wurde darauf geachtet, Parallelen und Vergleiche herzustellen.

Bei einigen Passagen merkt man beim Lesen, dass um manche Sätze und Formulierungen wohl gerungen wurde. „Es war nicht immer leicht“, erzählt der Historiker David Schriffl, der an dem heiklen Kapitel über die Vertreibung und Zwangsaussiedlung der Sudentendeutschen mitgearbeitet hat, gegenüber der APA. „Die Diskussionen waren zum Teil mühseliger als erwartet, aber es hat sich gelohnt. Das, was vorliegt, können beide Seiten unterschreiben“, sagt der Historiker an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Beitrag zu bilateralen Verhältnis

Dafür mussten immer wieder beide Seiten aufeinander zugehen, auch deswegen sei die Arbeit ein positiver Beitrag für das bilaterale Verhältnis der beiden Länder. Gerade die umstrittenen Punkte wurden gemeinsam aufgegriffen. „Wenn jede Seite das allein geschrieben hätte, hätte das Ergebnis sicher anders ausgesehen“, so Schriffl. Weniger als über die Fakten wurde über Akzentsetzungen und einzelne Formulierungen diskutiert. Als Schulbuch ist das Werk nicht gedacht, parallel entstanden aber didaktische Materialien für den Schulunterricht sowie eine Broschüre.

Die Historiker haben mit diesem Werk ihren Teil geleistet, um eine versöhnliche gemeinsame Sichtweise auf die gemeinsame Vergangenheit zu ermöglichen. Ob Politik und Gesellschaft diese Chance annehmen, bleibt abzuwarten. Der streitbar tschechische Präsident Milos Zeman, der vor wenigen Jahren die Sudetendeutschen noch als „fünfte Kolonne Adolf Hitlers“, die mit der Vertreibung noch milde davongekommen seien, bezeichnet hatte, sagte bei seinem Besuch vergangenen Woche in Wien auf die Frage eines Journalisten, ob man nun von Vertreibung spreche oder ob in Tschechien weiterhin das Wort Abschub verwendet würde: Mit Begrifflichkeiten sollten sich „qualifizierte Historiker und nicht nichtqualifizierte Journalisten auseinandersetzen“.

Der erfolgreichen Aufarbeitung der österreich-tschechischen Geschichte könnte bald ein ähnliches Projekt zwischen Österreich und der Slowakei folgen, wie die Parlamentspräsidenten beider Länder im vergangenen Dezember bei einem Treffen ankündigten. Trotz zahlreicher Parallelen zwischen Tschechien und der Slowakei, die fast das gesamte 20. Jahrhundert in einem gemeinsamen Staat verbrachten, war das Verhältnis zwischen Wien und Bratislava stets deutlich weniger kompliziert als jenes Wiens zu Prag.

science.ORF.at/APA

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