Preisfrage: Wie nützlich ist Wissenschaft?

„Ist gesellschaftliche Relevanz von Forschung bewertbar? Und wenn ja, wie?“ So lautete die Preisfrage der Österreichische Akademie der Wissenschaften. Mehr als 100 Einsendungen aus ganz Europa fanden Antworten, 24.000 Euro Preisgeld gab es für die drei besten.

Ganz nach dem Vorbild öffentlicher wissenschaftlicher Preisfragen aus der Zeit der Aufklärung hat die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Vorjahr dieses altgediente Modell wieder hervorgekramt. Das Wissenschaftsministerium war damit an sie herangetreten, erzählt Oliver Schmitt, Historiker und Präsident der philosophisch-historischen Klasse der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell" am 17.4. um 13:55

Die Rückmeldungen waren zahlreich - mehr als 100 Einreichungen in verschiedenen Sprachen, darunter Englisch, Französisch und Russisch, hätten interessante Ideen eingebracht. Bei den drei Gewinner-Essays habe man einerseits die sehr strukturierte Denkweise geschätzt und andererseits den essayistischen Zugang.

Gedanken in Gold, Silber, Bronze

Gewonnen haben drei deutsche Wissenschaftssoziologen: Julia Schubert und David Kaldewey von der Universität Bonn und Julian Hamann von der Universität Hannover, die in ihrem gemeinsamen Essay vor allem darlegen, wie vielfältig Nutzen und Bedeutung von Wissenschaft sein kann.

Auf den zweiten Platz kam Alexander Bogner vom Institut für Technikfolgenabschätzung der ÖAW, der meint, man könne die Teilhabe der Gesellschaft besser messen als die tatsächlichen Auswirkungen von bestimmtem Wissen auf die Gesellschaft. Platz drei ging an Pirmin Fessler von der Österreichischen Nationalbank, der meint, Relevanz lasse sich zwar messen, nur nicht unvoreingenommen und objektiv.

Was wichtig scheint

Für Erstplatzierte Julia Schubert war die Preisausschreibung an sich schon ein paar Gedanken zur Relevanz wert: „Ich fand die Idee spannend, dass man über eine solche Ausschreibung angehalten ist, sich Gedanken zu machen zu einem Thema, das man immer mal wieder bedenkt, aber nicht so auf den Punkt bringt.“

Prämierte Antworten

Erster Preis (12.000 Euro), Julian Hamann (Universität Hannover), David Kaldewey und Julia Schubert (beide Universität Bonn)

Zweiter Preis (8.000 Euro, Alexander Bogner (Institut für Technikfolgenabschätzung der ÖAW und Universität Innsbruck)

Dritter Preis (4.000 Euro, Pirmin Fessler (Oesterreichische Nationalbank)

Zunächst ging es Schubert und ihren beiden Kollegen darum, überhaupt Relevanz oder Nutzen zu definieren: „Alles steht und fällt mit unserem Begriff von Relevanz. Dass wir diesen Begriff nicht zu sehr einschränken - zum Beispiel auf Anwendungsorientierung, oder auf technologische Innovation.“ Viele Ergebnisse der Grundlagenforschung werden erst viel später nützlich. Und vorhersagen lässt sich das nicht leicht: Viele Technologien - von Raumfahrt bis zu Medizin - lassen sich schlussendlich auf ungesteuerte Neugier zurückführen. Und auf welch verschlungenen Wegen hat sich ein säkuläres Weltbild in Europa durchgesetzt?

Gleichzeitig aber beschäftigt sich Wissenschaft auch mit Problemen der jeweiligen Zeit, seien das Fragen dazu, ob Staat und Religion getrennt gehören oder wie der Klimawandel abläuft. Ist das wichtigere Forschungsarbeit, weil die im Moment wichtiger scheint? Man müsse unterschiedliche Dinge unterschiedlich bewerten, erklärt Schubert: Man könne beispielsweise im Nachhinein einschätzen, wie viel Nutzen etwas gebracht hat - gleich oder hundert Jahre später - und daraus Schlüsse ziehen. Oder bemessen, wie viele Menschen jetzt an etwas teil- oder Interesse haben, seien das Citizen-Science Projekte oder lokale Forschungsprojekte.

Wohin mit dem Geld?

Oder man könne drittens versuchen einzuschätzen, wie nützlich Ergebnisse für bereits vorgegebene Ziele sind. Gerade letzteres ist etwas, das Staaten und Fördereinrichtungen interessiert. Sie hätten gerne standardisierte Werte für gute oder nützliche Forschung, der man Geld zuteilen soll.

Nicht von ungefähr hat also gerade das Wissenschaftsministerium die Preisfrage an die Akademie der Wissenschaften herangetragen. Und bei den meisten eingereichten Antworten wurde dann auch die Frage selbst hinterfragt, wie Oliver Schmitt von der ÖAW erzählt: “Wenn ich die Frage nach dem Nutzen stelle, dann übe ich Macht gegenüber jenen Menschen aus, die nach dem Wissen suchen. Die meisten sind öffentlich finanziert, also in öffentlich finanzierten Einrichtungen, zumindest ist das in Europa so.“

Die Gesellschaft spiegelt sich also in der Forschung wider - und die Öffentlichkeit hat schwierige Erwartungen, besonders heutzutage.

Zu viel Relevanz?

In der Preisfrage selbst steckt indirekt auch die Vermutung, dass Forschung nutzlos und sinnlos sein kann. Aber was, wenn man die Frage umdreht - wenn im Gegenteil die Bedeutung von Wissenschaft zu hoch angesetzt wird?

Oliver Schmitt fand auch das einen wichtigen Gedanken, der sich in den Einsendungen gefunden hat: „Dass Menschen das Gefühl haben, da gibt es eine nicht demokratisch legitimierte Instanz, die in wesentlichen Fragen - und ich erwähne Migration und Klimawandel, weil sie so emotional sind - entscheidet. Dass Experten sich über die Gesellschaft erheben.“ Ein aus neueren politischen Diskussionen bekannter Denkansatz, in denen Expertentum an sich kritisiert wird, genau weil es gefühlt mehr Gewicht gegenüber dem eigenen Bauchgefühl zugesprochen bekommt.

Dabei zeigt sich genau das Problem von Wissenschaft, das sich auch bei den Beiträgen zur Preisausschreibung spiegelt: Selten gibt es einfache Antworten. Und: Selten lässt sich direkt und sofort einschätzen, was ein bedeutendes, gesellschaftlich prägendes Ergebnis bringen kann und wird.

Oliver Schmitt plädiert eher dafür, dass wir geförderte Neugier als Teil unserer kulturellen Werte und Identität wahrnehmen, anstatt ökonomischen oder technologischen Nutzen einzufordern. Jedenfalls aber zeigt die angeregte und fast hitzige Debatte, dass die etwas aus der Mode gekommene, öffentliche wissenschaftliche Preisfrage wohl doch noch nicht ausgedient hat.

Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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