Mit Quantenphysik Gletscher datieren

Gletscher sind ein riesiges Klimaarchiv. Die Daten, die im Eis versteckt sind, muss man zeitlich aber genau zuordnen. Eine neue Methode schafft das nun genauer als je zuvor – und bedient sich dabei der Quantenphysik.

Die Technik nennt sich „Atomfallenmethode“ und wurde von Forschern der Universität Heidelberg in Deutschland entwickelt. Im Gegensatz zu anderen Datierungsmöglichkeiten kommt sie mit deutlich weniger Probegrößen aus.

Die aktuell untersuchte Probe stammt vom Schaufelferner in den Stubaier Alpen in Tirol. Aus einer Eishöhle auf dreitausend Meter Seehöhe schnitten Forscher mit einer Kettensäge eine fünf Kilo schwere Probe aus dem Eis. Die Probe wurde per Kühltransporter nach Heidelberg transportiert. Ein Team um die Gletscherforscherin Andrea Fischer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat die Methode nun erstmals für Gletschereis angewandt.

Die Eishöhle befindet sich am unteren Rand des Schaufelferners, etwa 20 Meter von der Oberfläche entfernt

ÖAW/IGF/Andrea Fischer

Die Eishöhle befindet sich am unteren Rand des Schaufelferners, etwa 20 Meter von der Oberfläche entfernt

Argon-39 in der Falle

„Das Eis wird im Labor verdampft, und aus dem Dampf zählt man einzelne Argon-39-Atome“, so Fischer, die für science.ORF.at auch ein Gletschertagebuch schreibt. „Diese radioaktiven Atome werden mit einem optischen Resonanzverfahren, das sich Methoden der Quantenmechanik bedient, in eine Falle gelockt, um sie dort einzeln zu zählen.“

Das Isotop Argon-39 zerfällt mit einer Halbwertszeit von 269 Jahren und findet sich nur sehr spärlich im Eis. Pro Kilogramm Eis sind nur einige tausend bis zehntausend solcher Atome enthalten. Für eine Altersbestimmung mit bisherigen Methoden über dieses Isotop wären daher mehrere Tonnen Eis notwendig gewesen - was in der Praxis kein gangbarer Weg ist.

Die quantenphysikalische Methode basiert auf der selektiven Abbremsung der gesuchten Argon-39 Isotope durch Laserlicht. Diese werden in einer Atomfalle gefangen und detektiert (rechts im Bild)

Universität Heidelberg/Christoph Kaup

Die quantenphysikalische Methode basiert auf der selektiven Abbremsung der gesuchten Argon-39 Isotope durch Laserlicht. Diese werden in einer Atomfalle gefangen und detektiert (rechts im Bild)

Rückblickende Gletscherbilanzen

Seit einiger Zeit kann man das Alter von Eis zwar mit Hilfe von Radiokohlenstoffdatierungen bestimmen. Nötig dazu sind allerdings eingefrorene Teile von Organismen oder Mikroorganismen, die indirekt Aufschluss über das Alter des Eises geben. „Das waren in der Vergangenheit immer Glücksfälle“, so Fischer. „Nun kann man das im Eis eingeschlossene Argon aus der Luft direkt datieren. Das ist ein großer Fortschritt, weil man damit die letzten 1.000 Jahre analysieren kann, die bisher überhaupt nicht zugänglich waren.“

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 23.4., 13:55 Uhr.

Damit lasse sich rückblickend zeigen, wie sich die Gletscher verändert haben. Die ersten direkten Messungen von Gletschereis in den heimischen Alpen begannen in den 1870er Jahren. Mithilfe der neuen Methode können man nun auch sagen, wie die Gletscher etwa zu Beginn des zweiten Jahrtausends ausgesehen haben – mit einer Ungenauigkeit von plus/minus 50 Jahren.

Der Schaufelferner im Herbst 2016. Die Eishöhle befindet sich unter der Abdeckung (weisse Fläche) in der rechten Bildmitte.

ÖAW/IGF/Martin Stocker-Waldhuber

Der Schaufelferner im Herbst 2016. Die Eishöhle befindet sich unter der Abdeckung (weisse Fläche) in der rechten Bildmitte

Kleine Eiszeit besser verstehen

Besonders interessant könnte die Analyse der Kleinen Eiszeit ab dem dreizehnten Jahrhundert sein. Damals war es nicht nur kalt, sondern warme und sehr kalte Perioden wechselten schnell, sagt Andrea Fischer.

„Diese sehr interessanten Witterungsgeschehen konnten wir bisher nur über sehr unscharfe historische Chroniken festmachen, die nur schwer quantifizierbar sind, weil sie etwa oft auf Ernteereignisse Bezug nehmen. Mit der neuen Methode können wir sie jetzt wirklich in harten Daten an den Gipfeln österreichischer Gletscher festmachen.“

Dies helfe besser zu verstehen, wie das Klimasystem in den Alpen auf große Schwankungen reagiert – etwa auch auf die aktuelle Klimaerwärmung.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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