„Extrem unverantwortlicher Menschenversuch“

Die Geburt von zwei genmanipulierten Mädchen in China hat vergangenen November einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Jetzt stellt sich heraus: Das umstrittene Experiment wies auch wissenschaftlich schwere Mängel auf.

Vor Kurzem noch war die Vorstellung, dass ein Forscher eigenmächtig am Erbgut von Ungeborenen herumschneidet und auf diese Weise Designer-Babys erzeugt, bloß Gegenstand theoretischer Debatten. Nun ist es tatsächlich passiert.

Jiankui He, Biophysiker von der chinesischen SUSTec-Universität in Shenzhen, hat sich mit seinem Menschenversuch über den Konsens der Wissenschaftsgemeinde hinweggesetzt, diese Tabuzone nicht zu betreten. Das sehen auch die örtlichen Behörden so. He habe im Alleingang gehandelt und gegen chinesisches Recht verstoßen, hieß es in einer im Jänner über die Nachrichtenagentur Xinhua veröffentlichten Mitteilung.

„Das war schlechte Wissenschaft“

Über die ethische Dimension des Falls waren sich die Experten im Westen wie im Osten schnell einig. Die wissenschaftliche Beurteilung liefern nun Haoyi Wang und Hui Yang von der chinesischen Akademie der Wissenschaften nach. Ihre Bilanz fällt vernichtend aus: Hes Experimente waren offenbar lückenhaft und qualitativ auf unterem Niveau, schreiben die beiden im Fachblatt „Plos Biology“.

Forscher Jiankui He am Rednerpult bei einer Konferenz

AP Photo/Kin Cheung

Bei der Human Genome Editing Conference in Hong Kong löste He letzten November heftige Kontroversen aus

Die Kritik betrifft zum einen Hes Argument, die im Labor erzeugte Genveränderung habe dazu gedient, die beiden Mädchen (deren Vater HIV-positiv ist) vor Infektionen mit dem Aids-Erreger HIV zu schützen. Dies sei unbewiesen, betonen Wang und Yang. Zwar blockiert die eingefügte Mutation am CCR5-Gen manche HIV-Stämme, aber keineswegs alle. Auch sei bisher unbekannt, wie sich die Mutation im Erbgut von Menschen chinesischer Herkunft auswirkt. Und nicht zuletzt habe He keinen Plan vorgelegt, wie er mögliche Langzeiteffekte kontrollieren könnte.

Zum anderen üben Wang und Yang Kritik an den im Labor verwendeten Methoden: In dem Experiment fehlten etwa Kontrollwiederholungen von Arbeitsschritten, überdies habe He nicht ausreichend überprüft, ob der Eingriff an anderen Orten im Erbgut zu schädlichen Nebenwirkungen führen könnte. Kurzum: Er habe die beiden Mädchen einem unnötigen und zum heutigen Zeitpunkt kaum abschätzbaren Risiko ausgesetzt.

„Wir verurteilen dieses Vorgehen aufs Schärfste. Es war ethisch wie wissenschaftlich extrem unverantwortlich“, lautet das schriftliche Resümee der beiden Forscher. Im Gespräch mit dem ORF wird Haoyi Wang noch deutlicher. „Wenn He diese Experimente an Versuchstieren durchgeführt hätte, würde ich sagen: Die Studie enthält so viele Lücken, das war einfach schlechte Wissenschaft. Aber er hat die Experimente an Menschen durchgeführt. Es ist unglaublich.“

Moratorien sind zu wenig

In der gleichen Ausgabe von „Plos Biology“ macht sich der US-amerikanische Bioethiker Arthur Caplan Gedanken, wie man solche Fälle in Zukunft vermeiden könnte. Und trifft in seinem Beitrag einen wunden Punkt der Debatte: Der Ruf nach Moratorien, wie er nun vielerorts ertönt, gehe insofern ins Leere, als es solche Moratorien auch schon vor Hes Versuchen gab.

Ethische Standards, wie sie von Fachgesellschaften vorgelegt werden, sind eben Appelle an die menschliche Vernunft, mehr nicht. Diese Standards auf Ebene der UNO zu verankern, würde zwar einen Fortschritt bedeuten – doch selbst in diesem Fall wäre das noch immer „soft law“, betonte etwa der Medizinethiker Ulrich Körtner letztes Jahr in einem Interview: „UNO und UNESCO sind natürlich keine Weltregierungen, die bei Nichtbefolgung zu Prozessen vor irgendeinem Weltgericht führen.“

Rechtlich bindend wäre letztlich nur die nationale Gesetzgebung, beziehungsweise im Fall der EU: europaweit geltende Richtlinien, über die man auch nationales Recht steuern könnte. Arthur Caplan drückt das so aus: „Gesetze und Strafen müssen Biss haben. Nur so lässt sich verhindern, dass Renegaten an unseren Nachkkommen herumdesignen.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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