Ikone der Renaissance

Leonardo da Vinci ist die Ikone der Renaissancekultur. Der Maler der „Mona Lisa“, der Zeichner des ideal proportionierten Menschen, der Konstrukteur von Flugapparaten wurde zu einer mythischen Figur. Am 2. Mai 1519 starb er in Frankreich.

Leonardos gesamtes Werk gilt als Höhepunkt einer Epoche, in der die Veredelung des Menschen durch Bildung und Erziehung eine wesentliche Rolle spielte. Das sollte den Menschen befähigen, seine wahre Bestimmung zu erkennen und durch die Nachahmung klassischer Vorbilder ein ideales menschliches Dasein zu verwirklichen. In dieser Selbstbestimmtheit liegt das Wunder des Menschen.

Lehrjahre in Florenz

Die Biografie Leonardos weist zahlreiche Lücken auf. Geboren wurde er am 15. April 1452 als unehelicher Sohn eines Notars und einer Bauerntochter. Über seine Kindheit und Jugend ist wenig bekannt, außer dass er bei seinem Großvater aufwuchs und nach dessen Tod um 1469 mit seinem Vater, der nunmehr eine legitime Ehe führte, nach Florenz zog. Für den Jugendlichen, dessen große Leidenschaft das Zeichnen war, begann ein neuer Lebensabschnitt. Der Vater, mittlerweile ein renommierter Notar, erkannte das Talent seines Sohnes und verschaffte ihm eine Lehrstelle in der Werkstatt des Malers und Bildhauers Andrea del Verrocchio.

Sendungshinweise

  • „Leonardo da Vinci: Das geheimnisvolle Porträt“, Universum History, ORF2, 26.4., 22.35 Uhr

Der Günstling der Familie Medici war einer der einflussreichsten Künstler dieser Epoche und schuf zahlreiche Gemälde, Skulpturen und Denkmäler. Verrocchio forderte von seinen Schülern nicht nur eine künstlerische Universalität, sondern auch ein intensives Studium der Anatomie, Mathematik und Optik, was besonders für Leonardos späteres Schaffen wesentlich war.

Ginevra de' Benci in der National Gallery of Art

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„Porträt der Ginevra de’ Benci“ in der National Gallery of Art

In Florenz entstanden die Gemälde „Die Anbetung der Heiligen drei Könige“ und das „Porträt der Ginevra de’ Benci“ – ein Höhepunkt im malerischen Oeuvre Leonardos, das zum ersten Mal ein profanes Sujet darstellt. Es zeigt eine selbstbewusste junge Frau aus einer der reichsten Familien in Florenz in einer Dreiviertelansicht, die vor einem Wacholderbusch sitzt, der ihren Kopf umrankt. Auf der Rückseite des Gemäldes findet sich eine Kombination von verschiedenen Pflanzen, die durch ein geschwungenes Band verbunden sind, auf dem geschrieben steht: „Schönheit schmückt Tugend“.

Zentrales Organ Auge

Das zentrale Organ für die künstlerische Tätigkeit Leonardos war das Auge. Es zählte die einfache Erfahrung des optischen Eindrucks, die er in obsessiver Weise zeichnend und malend festhielt. Leonardo verstand die Malerei als eine Philosophie, mit der er die Natur oder auch die menschliche Anatomie erforschte. Dabei ging er diszipliniert und exakt vor, wie bereits Johann Wolfgang von Goethe bemerkte:

„Nicht verließ er sich auf den inneren Antrieb seines angeborenen, unschätzbaren Talentes; kein willkürlicher Strich sollte gelten, alles musste bedacht und überdacht werden. Von der reinen erforschten Proportion an bis zu den seltsamsten aus widersprechenden Gebilden zusammengehäuften Ungeheuern sollte alles zugleich natürlich und rationell sein.“

Die idealen Proportionen

Die von Goethe angesprochene rationale Vorgangsweise Leonardos, mit der er verschiedene Phänomene erforschte, dokumentiert sich in seinen zahlreichen Zeichnungen. Themen sind Studien der menschlichen Figur, der Anatomie, Skizzen von Pflanzen, Tieren, Wolken oder Wellen.

Ein spezielles Beispiel für die Darstellung des Menschen nach idealen Proportionen ist die Zeichnung, die sich an den Proportionen orientiert, die der antike Architekt Vitruv formulierte. Sie zeigt einen Mann mit ausgestreckten Extremitäten, der mit den Fingerspitzen und den Sohlen ein ihn umgebendes Quadrat berührt. Die Studie ist nicht nur ein Symbol für die Ästhetik der Renaissance, sondern – neben der „Mona Lisa“ – eines der bekanntesten Bildmotive Leonardos.

Der vitruvianische Mensch, Leonardo da Vinci, ca. 1490

APA/AFP/Giuseppe CACACE

„Der vitruvianische Mensch“, Leonardo da Vinci, circa 1490

Hofkünstler in Mailand

Eine wichtige Station im Leben Leonardos war Mailand. Dort trat er erst als Architekt und Ingenieur in den Dienst des Herzogs Ludovico Sforza. Als Hofkünstler hatte Leonardo noch andere Aufgaben. Er entwarf Kostüme für Theateraufführungen, übernahm Inszenierungen und trat als Sänger auf, der sich auf der Laute begleitete. Berühmt war Leonardo für die prunkvollen Feste des Hofes. Seine Stellung als Hofkünstler färbte auf seine Lebensführung ab: Er bewohnte ein feudales Appartement, das als Wohnung und Werkstatt diente, wo er mit dem Gesellen Salai zusammenlebte.

Neben seinen vielfältigen Aktivitäten als Hofkünstler von Ludovico Sforza in Mailand fand Leonardo noch Zeit, sich seinen künstlerischen Ambitionen zu widmen. Er erhielt den Auftrag, ein Altarbild zu malen – die „Felsgrottenmadonna“. Das Bild zeigt die Gottesmutter zusammen mit den beiden Knaben Johannes und Christus und einem Engel vor einer Höhle. Der Hintergrund ist zweigeteilt: Rechts erkennt man eine zerklüftete Felsformation, links eine im Dunst verschwimmende Berglandschaft.

Felsgrottenmadonna in der National Gallery, London

National Gallery, London - Creative Commons

„Felsgrottenmadonna“ in der National Gallery, London

1495 begann Leonardo sein nächstes Projekt - " Das Abendmahl" - ein rund 40 Quadratmeter großes Wandbild im Refektorium des Klosters Santa Maria delle Grazie. In dem Fresko setzte sich Leonardo über die Tradition hinweg, Judas abseits von den anderen Aposteln zu platzieren, um ihn als Verräter zu stigmatisieren.

Wandgemälde "Das Abendmahl" im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie in Mailand

AP Photo/Antonio Calanni

Wandgemälde „Das Abendmahl“ im Dominikanerkloster Santa Maria delle Grazie in Mailand

Von Mailand nach Tirol, Florenz zu „Mona Lisa“

Politische Ereignisse bewogen Leonardo, 1499 Mailand zu verlassen. Sein Schirmherr Ludovico Sforza wurde von den Franzosen vertrieben und musste nach Tirol fliehen. Leonardo begab sich vorerst nach Mantua, wo er von der Herzogin Isabella Gonzaga empfangen wurde. 1503 kehrte er nach Florenz zurück – in die führende Kunstmetropole der Epoche.

1503 begann Leonardo mit seinem wohl bekanntesten Bild – mit der „Mona Lisa“, das zu der Ikone der Renaissancemalerei wurde, die im Louvre jährlich von mehr als sechs Millionen Menschen bewundert wird. Das Porträt zeigt Lisa del Giocondo – die Tochter eines wohlhabenden Seidenhändlers. Die auf einem Stuhl sitzende Frau wendet sich dem Betrachter mit einem geheimnisvollen Lächeln zu, das zu verschiedenen Interpretationen Anlass gab. Auf ihrem Haar liegt ein feiner, durchsichtiger Schleier, ihr Kleid fällt in schlichten Falten, den Mantel hat sie sich über die linke Schulter gelegt.

Die Mona Lisa im Pariser Louvre

AP Photo/Remy de la Mauviniere

„Mona Lisa“ im Pariser Louvre

Nomadenleben geht weiter

Leonardo setzte sein unstetes Wanderleben fort. Ab 1506 lebte er mit Unterbrechungen in Mailand, wo er sich mit anatomischen Studien befasste. 1513 reiste er nach Rom, wo er sich des Mäzenatentums von Giuliano de’ Medici, dem Bruder des kurz zuvor gewählten Papstes Leo X., erfreute. Leonardo hoffte auf lukrative Aufträge, doch sein verhasster Rivale Michelangelo war ihm zuvorgekommen; er hatte mittlerweile die Decke der Sixtinischen Kapelle im Vatikan vollendet. Leonardo musste sich mit weniger aufwendigen Projekten begnügen. In Rom entstand auch sein wahrscheinlich letztes Gemälde „Johannes der Täufer“.

Der Aufenthalt in Rom verlief für Leonardo wegen der mangelnden Anerkennung enttäuschend. Dazu kam der Tod seines Mäzens Giuliano de’ Medici. Durch einen kuriosen Zufall erlangte der umtriebige Künstler die Gunst des französischen Königs Franz I. Bei einem Bankett in Lyon wurde diesem ein mechanischer Löwe, den Leonardo konstruiert hatte, präsentiert.

Der König zeigte sich beeindruckt und lud Leonardo ein, nach Frankreich zu kommen. Ab 1517 arbeitete er am Hof des Königs im Schloss in Amboise, wo er ein eigenes Haus erhielt. In seinen letzten Jahren befasste sich Leonardo fast ausschließlich mit wissenschaftlichen Experimenten und architektonischen Entwürfen. Er starb am 2. Mai 1519 in Amboise.

Nikolaus Halmer, Ö1-Wissenschaft

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Literaturhinweise:

  • Walter Isaacson: Leonardo da Vinci, Propyläen Verlag
  • Volker Reinhardt: Leonardo da Vinci. Das Auge der Welt, C. H. Beck Verlag
  • Bernd Roeck: Leonardo. Der Mann, der alles wissen wollte, C. H. Beck Verlag
  • Frank Zöllner: Leonardo da Vinci 1452-1519. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen, Taschen Verlag
  • Marie Selliers „Das Lächeln meiner Mutter“, Edition Bernest
  • Giorgio Vasari: Lebensläufe der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten, Manesse Verlag