Wie Urmenschen den Himalaya eroberten

Viel war über den ausgestorbenen Denisova-Menschen bisher nicht bekannt. Ein 160.000 Jahre alter Knochen aus Tibet beweist: Der rätselhafte Urmensch kam bis zum Himalaya - und überlebte unter widrigsten Bedingungen.

Die Geschichte beginnt in der Baishiya-Karsthöhle, gelegen in den Bergen von Xiahe, Tibet. Im Jahr 1980 entdeckte dort ein Mönch einen Kieferknochen, uralt und offenbar menschlichen Ursprungs, und überließ das Fundstück einem in der Nähe gelegenen Kloster, wo es lange als heiliger Gegenstand aufbewahrt wurde. Bis vor ein paar Jahren der sechste lebende Buddha der Gelug-Schule entschied, den Knochen an die Lanzhou-Universität weiterzugeben.

Der Bergmensch aus Tibet

Die Ergebnisse der Untersuchungen sind diese Woche im Fachblatt „Nature“ nachzulesen. Sie sind wohl ohne Übertreibung als wissenschaftliche Sensation zu werten. Denn der Kieferknochen gehörte zu einem Denisova-Menschen – eine Menschenart, von der bisher bloß zwei Backenzähne und ein Fingerfragment gefunden wurden. Dass der Denisova-Mensch überhaupt existierte, wissen Anthropologen erst, seitdem sie alte DNA in dem spärlichen Fossilmaterial analysiert haben.

Genetisch unterschieden sich die Denisovaner offenbar von ihren Zeitgenossen. Aber es gibt Überschneidungen: Im Erbgut von heute in Asien, Australien und Melanesien lebenden Menschen finden sich immer noch Reste unseres vor 50.000 Jahren ausgestorbenen Verwandten. Was nur dadurch zu erklären ist, dass es in Urzeiten zu Austausch von genetischem Material kam – soll heißen: Denisovaner und moderne Menschen müssen miteinander Nachkommen gezeugt haben.

Nur wo? Die bisher bekannten Fossilien, Backenzähne und Fingerknochen, stammen aus dem Altai-Gebirge in Sibirien. Also nicht gerade aus der unmittelbaren Nachbarschaft von Australien und Melanesien. „Aufgrund der genetischen Daten hatten wir schon länger vermutet, dass der Denisova-Mensch relativ weit verbreitet war“, sagt Frido Welker, einer der Studienautoren. „Jetzt wissen wir: Er hat auch in Tibet gelebt.“

An Kälte und Höhe angepasst

Der Kieferknochen ist den Forschern zufolge 160.000 Jahre alt. Damals herrschte in Europa die Eiszeit. Umso kälter muss es zu dieser Zeit im Himalaya gewesen sein - dass Jäger und Sammler in dieser Region auf mehr als 3.000 Metern Höhe überleben konnten, sei schon beeindruckend, sagt Welker. „Das Leben muss rau gewesen sein.“ Bisherige Analysen zeigen, dass die Denisovaner aus Sibirien genetische Anpassungen für das Leben in großen Höhen besaßen. Für jene aus Tibet steht dieser Nachweis noch aus, zu erwarten wäre es jedenfalls.

Eingang der Baishiya-Karsthöhle in Xiahe

Dongju Zhang, Lanzhou University

In der Baishiya-Karsthöhle wurde der Kieferknochen entdeckt

Bliebe noch zu klären: Wie haben die Denisovaner eigentlich ausgesehen? Diese Frage können die Forscher bis heute nicht beantworten. Das neue Fossil liefert bloß ein Puzzlestück, der Kiefer aus der Baishiya-Karsthöhle ist vergleichsweise klobig, ebenso die Zähne. Ob das auch für den Rest des Körpers gilt, müssen neue Fundstücke zeigen, sagt Welker.

Die Chancen dafür stehen im Grunde recht gut. In Asien haben Wissenschaftler in den letzten Jahren nämlich einige Menschenknochen ausgegraben, von denen nicht klar ist, welcher Art sie zuzurechnen sind. Gut möglich, dass einige davon zum Denisova-Menschen gehören.

Robert Czepel, science.ORF.at

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