Woher die chinesischen Sprachen kommen
In Europa und Asien sind im Lauf der vergangenen 10.000 Jahren die zwei größten Sprachfamilien entstanden: Die indoeuropäische im Westen, die sinotibetische im Osten. Fast 60 Prozent der Weltbevölkerung sprechen heute eine Sprache aus den beiden Gruppen. Bei der ersten, zu der auch Deutsch und Englisch zählen, sind es etwa 3,2 Milliarden Sprecher und Sprecherinnen. Bei der zweitgrößten sind es 1,4 Milliarden.

J.-M. List and H. Sell
Ausbreitung der Sprachen und landwirtschaftlichen Güter (Reis, Kolbenhirse, Schafe, Schweine, Pferde und Kühe und der jeweilige Zeitraum)
Während die Ursprünge und die historische Entwicklung der indoeuropäischen Gruppe recht gut untersucht sind, war bei den etwa 500 fernöstlichen Sprachen bisher das allermeiste unklar. Zwar hat man seit Anfang des 19. Jahrhunderts auch diese Gruppe studiert, aber die Suche nach größeren Zusammenhängen und Entwicklungen blieb schwierig, vor allem weil sich viele dazugehörige Sprachen strukturell stark unterscheiden, in der Grammatik, im Aufbau und im Klang.
Verbreitung der Landwirtschaft
Nur beim sinitischen Hauptzweig - den chinesischen Sprachen - gibt es auch historische Quellen, die bis ins 2. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zurückreichen. Die chinesischen Sprachen und ihre Kultur haben sich bis heute weit verbreitet – der Zweig hat die allermeisten Sprecher und Sprecherinnen der gesamten Sprachfamilie. Die größte Vielfalt an sinotibetischen Sprachen wird heute im Nordosten Indiens und in Nepal gesprochen, weswegen manche Forscher bisher vermuteten, dass die Sprachgruppe dort entstanden sein könnte.

Chih-hung Yang
Kolbenhirse wird heute noch angebaut, zum Beispiel hier in Taiwan
Um endgültig etwas Licht in die Geschichte zu bringen, haben die Forscher um Laurent Sagart und Guillaume Jacques vom französischen Institut National des Langues et Civilisations Orientales nun das Grundvokabular von 50 sinotibetischen Sprachen automatisiert analysiert. Die lexikalische Datenbasis enthält Wörter ausgestorbener und moderner Sprachen. Gesucht wurde nach strukturellen sowie klanglichen Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten. Auf diese Weise konnte das Team eine Art Stammbaum erstellen und die Ursprünge abschätzen. Die Urform bzw. der Vorläufer aller sinotibetischen Sprachen entstand demnach bereits vor etwa 7.200 Jahren.
Die Studie
„Dated language phylogenies shed light on theancestry of Sino-Tibetan“, PNAS, 6.5.2019
Für eine örtliche Eingrenzung analysierten die Forscher Wörter für historische Nutzpflanzen und -tiere, zum Beispiel für Hirse, Schweine und Schafe. Daran lasse sich ablesen, wie sich landwirtschaftliches Wissen in der Region ausgebreitet hat. Vermutlich sei die Ursprache bei steinzeitlichen Hirsebauern im Norden Chinas entstanden, zu Zeiten der späten Cishan- und frühen Yangshao-Kultur.
Eva Obermüller, science.ORF.at