Die vergessenen Toten von Mauer

Während der NS-Zeit wurden im heutigen Landesklinikum Mauer Hunderte psychisch kranke Menschen ermordet. Die wissenschaftliche Aufarbeitung hat auch das Leben im Ort verändert: Die Menschen schweigen nicht mehr über das Grauen der Vergangenheit.

Menschen mit körperlichen oder geistigen Erkrankungen oder Beeinträchtigungen galten während des Nationalsozialismus als „unwertes Leben“. Über 30.000 Menschen wurden in Österreich aus diesem Grund getötet, viele von ihnen kamen direkt aus den psychiatrischen Kliniken in Vernichtungslager. Andere starben in den Kliniken vor Ort, weil sie vernachlässigt, misshandelt oder absichtlich getötet wurden. Auch das heutige Landesklinikum Mauer nahe Amstetten in Niederösterreich hat eine solche Vergangenheit. Heute wird dort ein Mahnmal eröffnet.

Historische Luftbildaufnahme der Heil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling aus 1942

Philipp Mettauer

Die Heil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling im Jahr 1942

Erste Auseinandersetzungen mit den Euthanasiemorden und der Deportation von psychisch kranken Menschen aus der damaligen „Heil- und Pflegeanstalt“ Mauer-Öhling gab es bereits in den 1980er Jahren, doch die Aufarbeitung blieb lange Zeit eher im wissenschaftlichen Kontext verhaftet.

Krankenmorde: „Zentraldienststelle T4“

Deportationen aus Mauer-Öhling geschahen zunächst im Rahmen der T4-Transporte, benannt nach der Tiergartenstraße 4, wo sich die damalige „Zentraldienststelle T4“ befand. Unter ihrer Anordnung wurden auch in Österreich zwischen 1940 und 1944 Menschen mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen deportiert und ermordet. 1.300 von ihnen kamen so von Mauer-Öhling in die Vergasungsanlage nach Hartheim in Oberösterreich.

Doch auch in der Klinik selbst, der damaligen „Heil- und Pflegeanstalt Mauer-Öhling,“ ermordeten Ärzte und Pfleger hunderte Menschen, erklärt der Zeithistoriker Philipp Mettauer vom Institut für jüdische Geschichte Österreichs in St Pölten. „Etwa 200 Menschn wurden damals durch Gift oder Starkstrom umgebracht, andere sind aufgrund von Hunger, Vernachlässigung oder Gewalt verstorben in der Anstalt.“ Maßgeblich verantwortlich für die Massentötungen in der Klinik war der Arzt Emil Gelny, der ab 1943 die Leitung in den Kliniken Gugging und Mauer-Öhling übernahm.

Ein Alliiertes Luftbild des Anstaltsfriedhofs vom 15. Mai 1945. In der linken Bildhälfte unterhalb die gerodete Fläche mit den Reihengräbern der NS-Euthanasie-Opfer.

Luftbilddatenbank Dr. Carls GmbH

Luftbild der Allierten: Der Klinikfriedhof im Jahr 1945

Auf dem Friedhof der Klinik Mauer-Öhling fehlte bald der Platz für die vielen Toten – auf einem erweiterten Teil, dem heute so genannten Euthanasiefriedhof, befinden sich namenlose Massengräber, über die Jahrzehnte überwuchert von einem Wäldchen, und heute kaum noch zu erkennen. Dort liegen nach Schätzungen von Philipp Mettauer etwa 300 Menschen begraben. Auch auf dem regulären Friedhofsteil befinden sich Euthanasieopfer.

Erst seit ein paar Jahren arbeitet die Klinik, gemeinsam mit Philipp Mettauer und dem Institut für jüdische Geschichte Österreichs ihre Geschichte auch in und gemeinsam mit der Öffentlichkeit auf. Philipp Mettauer, der Krankenakten und Totenbücher aus dem Archiv geholt und analysiert hat, hat bereits zahlreiche Vorträge gehalten und auch ein Sparkling Science Projekt mit Schülern veranstaltet. Lange sei über das Thema geschwiegen worden, schließlich ist im Ort und in der Umgebung fast jeder auf die eine oder andere Weise familiär mit der Klinikgeschichte verstrickt. Die Institution war ein wichtiger lokaler Arbeitgeber in vielen Bereichen, vom Pflegepersonal bis zu den Putzkräften. Auch die Opferfamilien haben lange geschwiegen.

„Es wird darüber gesprochen“

Mittlerweile zeige sich aber eine große Bereitschaft vor Ort, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, so Philipp Mettauer. „Was mich überrascht hat, war das enorme Interesse vor Ort und dass das Tabu jetzt wirklich bricht und drüber gesprochen wird und man fragen kann, und dass es jetzt auch Zahlen und Daten und Fakten gibt. Gewusst hat man es ja immer, aber eben nichts Genaues“.

Das Mahnmal, gestaltet vom niederösterreichischen Künstler Florian Nährer, soll nun erstmals an alle rund 2000 Opfer des Nationalsozialismus aus dem Landesklinikum Mauer. Für Philipp Mettauer ein guter Anfang, er hofft auf weitere Schritte, etwa die Nennung aller Namen der Opfer oder auch die Kennzeichnung des Anstaltsfriedhofs als Gelände von Massengräbern.

Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung wird das Mahnmal für die Euthanasie-Opfer heute um 14.00 Uhr im Landesklinikum Mauer enthüllt.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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