Der Quantencomputer wird erwachsen

Lange galten Quantencomputer bloß als physikalische Spielzeugmodelle, als Vorboten einer zukünftigen Technologie. In einem Innsbrucker Labor hat die Zukunft bereits begonnen: Die Quantenmaschinen sind drauf und dran, den klassischen Computer zu überflügeln.

Das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) befindet sich auf einem Campus nicht weit vom Stadtzentrum entfernt, im Süden fließt der Inn durch die Tiroler Landeshaupstadt, auf der nördlichen Seite des Gebäudes blickt man - zumindest als nicht ortskundiger Besucher - unwillkürlich nach oben, zum imposanten Panorama der Innsbrucker Hausberge.

Auch im Keller des Akademieinstituts ist die Natur allgegenwärtig, hier freilich in ihrer elementarsten Form. Da stehen massive Labortische, stabilisiert durch Betonblöcke und Luftpolster, geschützt vor Strahlung durch einen Faraday’schen Käfig. Auf einem befindet sich eine Vakuumkammer aus Stahl, inmitten von Kabeln, Linsen, Spiegeln und Detektoren: Das ist die Weltrekordmaschine. Erbaut von einem Team um Rainer Blatt.

Quantenphysiker Blatt im Labor

ORF/Czepel

Rekordhalter: Rainer Blatt und sein Quantencomputer

Der Quantencomputer des Innsbrucker Experimentalphysikers ist der derzeit leistungsstärkste auf der Welt. Er besteht aus 20 tiefgekühlten Ionen, aufgefädelt im Hochvakuum wie an einer Perlenkette.

In Begriffen der Informatik hat der Rechner ein Leistungsvermögen von 20 Quantenbits (siehe Video) – das mag nicht nach viel klingen, tatsächlich ist Blatt mit diesem Versuchsaufbau bereits in einen Bereich vorgedrungen, in dem etwas völlig Neues passiert. „In zwei bis drei Jahren werden wir 40 bis 50 Quantenbits erreichen“, prognostiziert Blatt. „Das ist der Break Even, also jener Punkt, ab dem man Dinge tun kann, die mit klassischen Rechnern nicht mehr möglich sind.“

Supercomputer herkömmlicher Bauart können Billiarden von Rechenoperationen pro Sekunde durchführen. Und dennoch scheitern sie an manchen Aufgaben. Zum Beispiel an der Berechnung des Verhaltens von Elektronen in einem Molekül. Auch Primfaktorenzerlegungen großer Zahlen oder kniffelige Optimierungsprobleme sind für sie oft unüberwindbar, weil dafür ein immens großer „Rechenraum“ notwendig ist, wie die Physiker sagen.

Warum der Quantencomputer so mächtig ist

Just in dieser Zone entwickelt der Quantencomputer seine größte Stärke. Er muss den riesigen Rechenraum nicht mühsam herstellen, er besitzt ihn bereits, weil er mit wellenartigen Überlagerungen von Null und Eins rechnet. Der klassische Computer ist eindeutig, der Quantencomputer indes ist genau das nicht, er macht die Überlagerung der Gegensätze zum Prinzip. Das ist erstaunlicherweise der Grund, warum er so mächtig ist: Eine Maschine, die mit Wellen rechnet, ist frei von den Begrenzungen herkömmlichen Logik.

Soweit die Theorie. In der Praxis müssen die Physiker freilich erst lernen, die Quanten zu programmieren, sie mit präzisem Laserlicht gleichsam zu dressieren, damit sie auch die richtigen Rechenergebnisse ausspucken. Wie so eine Dressur aussehen kann, beschreiben die Innsbrucker Forscher diese Woche im Fachblatt „Nature“. Das Bemerkenswerte daran: Der Quantencomputer kann sich offenbar auch mit einem klassischen Rechner unterhalten, trotz der Sprachbarriere zwischen Bit und Quantenbit.

Quantencomputer "spricht" mit einem PC

IQOQI Innsbruck/Harald Ritsch

Quantenrechner und PC im Dialog

Was die Wissenschaftler da in ihrer Studie beschreiben, ist im Grunde ein Dialog zwischen der alten und der neuen Computertechnologie, beginnend mit einer konkreten Frage aus der Hochenergiephysik: Was passiert eigentlich, wenn Elektronen und Positronen spontan im Vakuum entstehen und sich kurz darauf wieder vernichten?

Der Quantencomputer kann diesen seltsamen Vorgang simulieren, der klassische PC erledigt die rechnerische Kleinarbeit – und mit Hilfe dieser Arbeitsteilung lässt sich auch feststellen, wie verlässlich die Quanten tatsächlich arbeiten. „Diese Maschinen haben viel weniger Fehler, als wir erwartet haben. Das ist keine Spielerei mehr, jetzt wird es wirklich ernst", sagt Peter Zoller, einer der Studienautoren. Kurz darauf sagt er diesen einen Satz, auf den er selbst lange gewartet hat und warten musste. "Der Quantencomputer wird erwachsen.“

Quantenphysiker Peter Zoller

APA/BARBARA GINDL

Peter Zoller, Vordenker der Quantentechnologie

Der Innsbrucker Theoretiker hat das logische Grundgerüst des Dialogs zwischen den beiden Computergenerationen ersonnen. Das ist nicht die erste wegweisende Idee, die er auf diesem Gebiet hatte: Zoller war es nämlich, der vor mehr als 20 Jahren gemeinsam mit dem Spanier Ignacio Cirac den Grundriss eines Quantencomputers mit Ionen-Hardware erfand. Das Konzept wurde damals im Fachblatt „Physical Review Letters“ vorgestellt – letztlich war es ein Appell an die Kollegen aus dem experimentellen Fach, so eine Maschine tatsächlich zu bauen. Das hat Jahrzehnte gedauert.

Nun stößt am IQOQI die junge Generation der Physiker und Physikerinnen hinzu und wiederholt dieses Wechselspiel von Neuem: Die Theoretikerinnen überlegen sich, was alles möglich wäre. Und die Experimentalphysiker liefern im Labor die Antwort.

Von der Vision zur Realität - und zurück

Im Fall der soeben publizierten Studie lautet sie: Man muss nicht warten, bis der Quantencomputer über tausend Quantenbits und mehr verfügt, um damit Neuland zu betreten. Zum Beispiel, indem man ihn mit einem PC zu einem Hybrid verschmelzt. 100.000 Mal gingen die Rechenergebnisse bei dem Experiment zwischen den beiden Maschinen hin und her, bis das gestellte Problem gelöst war. Dabei zeigte sich auch, dass der Quantencomputer seinen Rechenpartner an Geschwindigkeit längst überflügelt hat. Als die Forscher eine Kontrollsimulation mitlaufen ließen, erzählt Co-Autor Rick van Bijnen, „mussten wir den PC aus dem Rennen nehmen, um das Experiment nicht auszubremsen“.

Ein Rennen findet in der Quantenphysik auch auf internationaler Ebene statt, zwischen Forschungsgruppen aus China, den USA und nicht zuletzt den Europäern. Die tiefgekühlten Ionen aus Innsbruck haben gute Chancen zum technischen Standard zu werden, gleichwohl gäbe es bei der Hardware einige Alternativen, die Vorschläge reichen von Supraleitern bis hin zu Photonen in Graphen- oder Diamantgehäusen.

„Wir sind weiter als Zuse“

Um sich zu vergegenwärtigen, wo die Forschung heutzutage steht, lohnt ein Blick auf die Evolution des Computers klassischer Bauart. In den 1940er-Jahren baute der deutsche Ingenieur Konrad Zuse mit seinem Z3 den ersten funktionsfähigen Rechner auf Basis von Telefonrelais. Das Gerät war in etwa so groß wie ein Bücherregal. „Dieses Entwicklungsstadium haben wir schon absolviert“, sagt Blatt. „Ich würde unsere Arbeiten im historischen Vergleich Mitte der 1950er verorten. Wir sind eindeutig weiter, als Zuse es war, aber wir haben noch keine integrierten Schaltkreise.“

Was freilich nicht bedeutet, dass Miniaturisierung noch kein Thema wäre. Der Quantenrechner aus Blatts Labor ist nur deswegen so groß wie ein Kühlschrank, weil die Forscher damit Grundlagenforschung betreiben und ungehinderten Zugriff auf alle Systeme benötigen. Würde man das gleiche Gerät so bauen, wie Techniker es machen, hätte es wohl Platz in einer Schuhschachtel.

Es böte sich noch eine andere historische Parallele an: Als in den 1990er-Jahren erstmals der Begriff „Cloud Computing“ aufkam, waren Netzwerke und auf mehrere Geräte verteilte Berechnungen das große neue Ding der Informatik. So gesehen befinden sich die Innsbrucker Physiker mit ihren Forschungen in zwei Epochen gleichzeitig. Man wäre versucht zu sagen: in einer quantenhaften Überlagerung zwischen zwei Jahrzehnten. Auf die Quanten-Mikroprozessoren muss die Welt noch warten. Aber die Quanten-Cloud ist schon da.

Robert Czepel, science.ORF.at

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