Hörgerät, das vom Gehirn gelenkt wird

Moderne Hörgeräte unterdrücken zwar Hintergrundgeräusche, aber sobald mehr als eine Person spricht, lässt sich aus dem Stimmengewirr nicht die „eine“ wichtige Stimme herausfiltern. Das wollen US-Forscher nun ändern: mit einem Gerät, das vom Gehirn gesteuert wird.

Eine Party zu besuchen, ist normalerweise ein durchwegs erfreuliches Unterfangen. Für schwerhörige Menschen kann so eine Situation aber anstrengend werden, denn obwohl moderne Hörgeräte konversationsstörende Geräusche wie klirrendes Geschirr oder leise Musik unterdrücken, kann aus einem Stimmengewirr nicht eine Stimme selektiv über andere hinweg verstärkt werden. Das Hörgerät hebt alle Stimmen gleichermaßen hervor, es entsteht eine Art Stimmwolke, einer Person zuzuhören wird schwierig.

Mit einem gesunden Gehör ist man hingegen in der Lage, eine einzelne Schallquelle aus einem Stimmengewirr auszuwählen: Sie erscheint lauter, erklärt Nima Mesgarani, Forscher und Elektroingenieur am Zuckerman Mind Brain Behavior Institute der Columbia University in New York City den sogenannten Cocktailparty-Effekt: „Das menschliche Gehirn kann sehr präzise eine Stimme über eine andere heben und sich auf eine Konversation in der Menschenmenge konzentrieren, das ist mit herkömmlichen Hörgeräten nicht möglich.“

Video: Beim Zuhören tritt immer eine Stimme in den Vordergrund

Um dieses Manko der Hörgeräte zu beseitigen und zukünftig den etwa fünf Prozent hörschwachen Menschen der Weltbevölkerung präziseres Hören zu ermöglichen, hat sich das US-amerikanische Forscherteam rund um Mesgarani zuerst der Frage angenommen, wie das menschliche Hirn normalerweise aus mehreren gleichzeitig stattfindenden Gesprächen eine Stimme herausfiltert.

Hirnströme gleichen dem Stimmmuster

Dazu wurden für eine 2012 in „Nature“ erschienenen Arbeit die Gehirnströme von „zuhörenden“ Testpersonen (Epilepsiepatienten, denen während einer Operation Elektroden eingepflanzt wurden) beobachtet. Den Versuchsteilnehmern wurde ein Stimmengewirr vorgespielt, wobei sie sich auf nur eine Stimme konzentrieren sollten. Anhand der Hirnstrommuster, die in einen Computeralgorithmus gespeist wurden, ließen sich jene Worte, denen die meiste Aufmerksamkeit geschenkt wurde, reproduzieren.

Der Algorithmus hat die Hirnströme sozusagen in Wörter zurückübersetzt und das System konnte erkennen, wem zugehört wurde. Die Hirnströme passen sich aber nicht nur an das Stimmmuster einer anderen Person an, erkärt Mesgarani: „In früheren Experimenten haben wir sogar beobachtet, dass sich während einer Konversation die Hirnströme des Zuhörers mit den Hirnströmen des Sprechers angleichen.“

Ein vom Hirn kontrollierter Stimmfilter

Auf dieses Wissen aufbauend, veröffentlichen die US-amerikanischen Forscher soeben ihre aktuelle Arbeit zur sogenannten „kognitiven Hörhilfe“, die zuerst aus einer Stimmwolke einzelne Stimmen separieren soll und sie anschließend mit den Hirnströmen des Zuhörers vergleicht. Da die Hirnströme des Hörgerätträgers am besten mit dem Stimmmuster der Person zusammenpassen, der man zuhören möchte, kann genau diese Stimme aus einem Gewirr hervorgehoben werden.

Obwohl das Forscherteam bereits 2017 ein ähnliches System entwickelt hat, gab es dabei einen großen Nachteil, erklärt Mesgarini: „In einem lauten Umfeld, wie beispielsweise in einem Restaurant, hätte das Gerät bislang nur systembekannten Stimmen sicher identifizieren und entwirren können. Sobald eine unbekannte Person, etwa ein Kellner, hinzukommt, wäre das System überfordert gewesen.“ Der Algorithmus musste sozusagen alle sprechenden Personen vorab “kennen”, damit sie zeitgleich mit dem Zuhören verstärkt werden konnten.

Prompte Stimmerkennung

Das soll in Zukunft nicht mehr nötig sein, denn die neue Hörstütze trennt auch unbekannte Stimmen automatisch voneinander und verfolgt gleichzeitig die Hirnströme des Zuhörers, um genau die Stimme zu verstärken, auf die man sich gerade konzentrieren möchte. Selbst wenn die Aufmerksamkeit spontan auf eine neue Person gerichtet wird, passt der Algorithmus die Lautstärke der Stimmen prompt an.

Obwohl die neue Technik laut dem Wissenschaftler noch Feinschliff benötigt, wünscht sich Mesgaraini eine baldige Anwendung im Alltag: „Wir hoffen, dass wir mit diesem Gerät vielen hörgeschwächten Personen dabei helfen können, mühelos zu kommunizieren.“

Als nächstes soll der Prototyp zu einem nicht-invasiven Gerät weiterentwickelt werden und mit Sensoren außen am Kopf funktionieren. Außerdem soll der Algorithmus, der bisher ausschließlich in Innenräumen getestet wurde, verfeinert werden. Ob und wann das Hightech-Hörgerät auf vielbefahrenen Straßen, in Restaurants oder gar auf lauten Cocktailpartys funktioniert, bleibt noch etwas abzuwarten.

Geraldine Zenz, Ö1-Wissenschaft

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