Hochleistungsgurken im High-Tech-Gewächshaus

Bis zum Jahr 2050 wird es voll auf unserem Planeten. Zehn Milliarden Menschen sollen dann laut UNO-Prognosen auf der Erde leben und essen. Die niederländische Universität Wageningen will sich mit vertikalen Plantagen für diese Zukunft rüsten.

Wer ins riesige Gewächshaus mitten am Gelände der Universität Wageningen will, muss erstmal seine Hände in zwei Löcher stecken. Aus einer Düse spritzt eine Desinfektionslösung, ein Knopf leuchtet grün und das Drehkreuz wird entriegelt.

Leo Marcelis geht hier täglich ein und aus, auch er muss jedes Mal das Desinfektionsprozedere mitmachen, das die Pflanzen im Gewächshaus vor eingeschleppten Viren und Bakterien schützen soll. Marcelis ist einer der Popstars in Wageningen, regelmäßig führt er Züchter und andere Forscherinnen zu seinen Pflanzenexperimenten. Derzeit interessiert er sich für Gurkenstauden, die im sechs Meter hohen Gewächshaus bis an die Decke ranken. Beleuchtet werden sie von gleißend hellen LED-Pannels.

Keine Erde, rotes Licht

Leo Marcelis ist Experte für „vertical farming“, seit Jahren gilt das als die Antwort auf das Versorgungsproblem, das wir in ein paar Jahrzehnten haben könnten, wenn das Land nicht mehr ausreicht, um alle zu ernähren. Man schichtet Felder übereinander, und kann auf kleinstem Raum Plantagen anlegen. Gurken oder Tomaten wachsen unter künstlichem Licht ohne Erde, nur mit Nährstoffen angereichertem Wasser.

Forscher im High-Tech-Gewächshaus

ORF / Masoner

Forscher Leo Marcelis im Gewächshaus der Zukunft

Die Krux ist dabei das passende Lichtkonzept, denn das hat einen großen Einfluss auf Wachstum und Gesundheit der Pflanzen. Die Forscher in Wageningen experimentieren derzeit mit weißen und roten LEDs. Sie wollen das passende Lichtrezept finden, mit dem sie das Maximum aus den Gurkenstauden herausholen können.

Vor allem das rote Licht kurbelt das Wachstum und damit den Ertrag an. Außerdem sind rote LEDs billiger und brauchen recht wenig Strom. Doch nur Rotlicht allein macht die Pflanzen krankheitsanfällig und die Ernte arm an Nährstoffen. Daher gilt es die richtige Mischung zu finden.

Sendungshinweis

Diesem Thema widmete sich auch ein Beitrag in „Digital Leben“: Der Roboter als Erntehelfer, 3.6.2019.

Vertikale Farmen für Megastädte

Man muss sich zukünftige Gewächshäuser und ihre Bewohner wie eine riesige Zahnradmaschine vorstellen. Wo alles mit allem zusammenhängt. Marcelis und seine Kollegen wollen daher besser verstehen, wie Pflanzen auf ihre Umwelt reagieren, in erster Linie auf Licht, aber auch auf die Temperatur, die CO2-Konzentration und das Biom der Wurzeln. Indem die Forscher an unterschiedlichen Schräubchen drehen, sollen Gemüsepflanzen beste Ware und viel davon produzieren. Und die Produktion sollte dann noch nachhaltig sein.

Mit vertikalen Farmen und High-Tech-Gewächshäusern lässt sich platzsparend das ganze Jahr produzieren, bei gleichbleibender Qualität. Frisches Obst und Gemüse muss nicht von weit her angekarrt werden, sondern kann mitten in der Stadt wachsen. Und das macht das Prinzip der vertikalen Farm besonders für asiatische Megastädte interessant, wo viele Menschen versorgt werden und dafür Lebensmittel über tausende Kilometer transportiert werden müssen. Immer mehr Menschen wünschen sich, dass ihre Lebensmittel lokal angebaut werden, salt Leo Marcelis. Mit Indoor-Farmen ist es egal, ob Boden und Klima geeignet sind. Dabei betrifft das Thema der vertikalen Farm nicht nur Megastädte in Asien.

Gewächshausnation Niederlande

Man kann sich auch einfach in den dichtbesiedelten Niederlanden umsehen. Auf dem Meer abgerungenen Gebieten im Südwesten reiht sich ein Gewächshaus an das nächste. Dort wachsen Gurken, Tomaten und Paprika das ganze Jahr über. Die Holländer praktizieren schon seit Jahrzehnten platzsparende Landwirtschaft.

Auf einem Quadratmeter wachsen in den Niederlanden 80 Kilogramm Tomaten pro Jahr, pro Kilo werden dafür nur nur 4 bis 6 Liter Wasser benötigt. In Spanien wird für die gleiche Menge mehr als zehnmal soviel Wasser verbraucht. Auch der Einsatz von Dünger und Pestiziden ist deutlich höher als in niederländischen Gewächshäusern.

Das richtige Licht macht Tomaten süß

Zwar setzen die Niederländer noch genug Dünger ein und das lässt sich auch in den Gewächshausgegenden im Wasser nachweisen – dennoch konnte das Land in den vergangenen 20 Jahren den Einsatz von Dünger und vor allem Pestiziden enorm senken. Heute sind die Niederlande nach den USA der größte Exporteur von Gemüse weltweit. Und das mit einer Anbaufläche, die 200 Mal kleiner ist, als die der USA. Dass es so weit kam, liegt auch an den Forscherinnen und Forschern der Uni Wageningen.

Immer mehr Gewächshäuser in den Niederlanden setzen auf LED-Technik, um den Ertrag auch in den dunklen Wintermonaten konstant zu halten, und nutzen daher auch der Forschung von Leo Marcelis. Mit dem richtigen Lichtrezept könne man passgenau auf die Bedürfnisse jeder Pflanze eingehen und auch auf jene der Züchter. Denn sogar Geschmack und Bissfestigkeit lassen sich per Licht steuern. Dem Zufall wird nichts mehr überlassen.

Anna Masoner, Ö1-Wissenschaft

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