Migration nicht schuld an sinkendem IQ

Der Intelligenzquotient (IQ) ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts weltweit stetig gestiegen. Doch dieser als „Flynn-Effekt“ bekannte Trend bremst sich seit einigen Jahren ein. Wie Forscher nun berichten, ist nicht – wie oft vermutet – die Migration dafür verantwortlich.

Als Gründe für die globale Zunahme der IQ-Testleistung in der Allgemeinbevölkerung im vergangenen Jahrhundert werden Faktoren vermutet, die vor allem die frühkindliche Entwicklung beeinflussen, etwa eine bessere Ernährung, Hygiene und medizinische Versorgung. Auch Verbesserungen in der schulischen Ausbildung dürften dafür mitverantwortlich sein.

Allerdings wurde in den vergangenen Jahren eine Umkehr des „Flynn-Effekts“ zumindest im europäischen Raum beobachtet: In vielen Ländern mit einem vorhergehenden IQ-Wachstum (Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Niederlanden, Norwegen, Österreich, Großbritannien) kam es zu einer Abnahme der durchschnittlichen Testleistung der Bevölkerung, also einem „Anti-Flynn-Effekt“. Als Ursache wurden Migrationseffekte vermutet, also die Wanderung von Menschen aus Ländern mit niedrigerem in Länder mit höherem durchschnittlichen IQ.

Veränderte Anforderungen

Die Psychologen Jakob Pietschnig, Martin Voracek und Georg Gittler vom Institut für Angewandte Psychologie: Gesundheit, Entwicklung und Förderung der Universität Wien haben diese Theorie nun in zwei unabhängigen Studien empirisch getestet. Im Mittelpunkt der einen Analyse standen die Ergebnisse mehrerer tausend Testpersonen auf Raumvorstellungstests. Dabei zeigte sich keinerlei Beziehung der Testergebnisse zu Netto-Migration, absoluter Migration oder Asylwerberzahl, berichten die Forscher nun im Fachjournal „Politische Psychologie“.

In der zweiten Studie wurden Veränderungen von IQ-Testleistungen in 21 Ländern an mehreren hunderttausend Testpersonen über einen Zeitraum von über 50 Jahren untersucht. Auch hier habe sich gezeigt, dass „Migrationszahlen keinen Einfluss auf Testleistungsänderungen hatten“.

Die Ursachen des „Anti-Flynn-Effekts“ sind nach Ansicht der Forscher eher Ausdruck der geänderten Anforderungen der Umwelt an die kognitiven Fähigkeiten der Menschen: In einer immer spezialisierteren Welt werden offenbar immer besser spezifische Fähigkeiten entwickelt. Dies dürfte zum Ansteigen der Bevölkerungsintelligenz geführt haben, während allgemeine kognitive Fähigkeiten in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend unverändert blieben. Wenn also die Leistung in spezifischen Fähigkeiten in der Bevölkerung ein Maximum erreicht, sollten sich in Folge Abnahmen der Bevölkerungstestleistung zeigen, meinen die Forscher.

science.ORF.at/APA

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