Angst vor weiterem Zugriff auf die Wissenschaft

Die Regierung Orban möchte die Ungarische Akademie der Wissenschaften „modernisieren“, die renommierte Einrichtung selbst befürchtet eine Zerschlagung. Welche Gefahren drohen, zeigt das Beispiel eines historischen Instituts, das die Geschichte Ungarns umschreiben soll.

Die Ungarische Akademie der Wissenschaften, eine der ältesten wissenschaftlichen Vereinigungen in Europa, bringe zu wenige Ergebnisse und Patente, ihre Strukturen seien veraltet, so die Regierung. Deshalb möchten Orbán und László Palkovics, Minister für Innovation und Technologie, umorganisieren: Die Akademie soll ihre Institute nicht mehr selbstständig verwalten, das „Lorand-Eötvös-Forschungsnetzwerk“ (ELKH) soll das übernehmen. Den Vorsitzenden dieses als Stiftung organisierten Netzwerks bestimmt die Regierung, das neue dreizehnköpfige Leitungsgremium soll nur zur Hälfte aus regierungsunabhängigen Wissenschaftlern bestehen. Wie das zu mehr Innovation führen soll, wisse er nicht, so Akademiepräsident Lászlo Lovász bei einer Pressekonferenz in Budapest: „Die Strategie dahinter wurde uns nicht erläutert.“

Mehr Innovation durch politische Kontrolle?

Grundlagenforschung, wie sie an der Akademie betrieben wird, münde nicht unmittelbar in Patente. Man sei nicht grundsätzlich gegen eine Reform der Akademie. Aber wie politische Kontrolle über Grundlagenforschung mehr Innovation an der Akademie hervorbringen soll, sei ihm nicht klar, so der Akademiepräsident. Er sieht vielmehr „Freiheit der Wissenschaft und Autonomie der Forschung bedroht“. Man befürchtet, dass Forschungsschwerpunkte vorgegeben werden könnten.

Ö1 Sendungshinweis:

Über das Thema berichtet auch das Mittagsjournal am 13.6.2019.

Als möglichen Hintergrund der Reformpläne nennt die regierungskritische Wochenzeitung „Magyar Narancs“ Forschungsfördergelder der Europäischen Union, die die Regierung mit dem neuen Gesetz in „entsprechende private Taschen“ lenken wolle. Zudem sei die Akademie vielen Regierungsanhängern ein Dorn im Auge, denn sie sei zu kritisch gegenüber Regierungschef Orban.

Geschichte neu schreiben

Wie sich die Umorganisation auswirken könnte, zeigt das Beispiel des Instituts für das Jahr 1956. Diese Einrichtung war bisher bei der Nationalbibliothek angesiedelt, sie verfügt über ein wertvolles Interviewarchiv mit Zeitzeugen der Ereignisse 1956, als große Gruppen der ungarischen Bevölkerung gegen die sowjetische Besatzung protestierten – ein wichtiger Teil der ungarischen Identität. Per Verordnung hat die Regierung Orbán das Institut kürzlich dem regierungsnahen historischen Institut „Veritas“ zugeschlagen, das „eine neue Geschichte Ungarns“ schreiben möchte. Forscherinnen und Forscher befürchten, dass Ähnliches auch mit Akademieinstituten passieren könnte.

Eine Demonstration für die Freiheit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften

APA/AFP/ATTILA KISBENEDEK

Anfang Juni haben Tausende Menschen in Budapest für die Freiheit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften protestiert.

Wissenschaftliche Akademien bestehen nicht nur in Ungarn, sondern in vielen europäischen Ländern aus einer Gesellschaft aus Wissenschaftlern und Forscherinnen sowie Forschungsinstituten. In den meisten Ländern – auch in Österreich – sind Gesellschaft und Institute unter dem Dach der Akademie vereint. Dafür gebe es aus Sicht des Akademiepräsidenten gute Argumente, zu allererst die Synergien aus der engen Zusammenarbeit: „Die Teilung der Akademie wird diese Synergien behindern.“

Forscher wandern aus

15 Institute mit rund 5.000 Beschäftigten gibt es aktuell an der ungarischen Akademie der Wissenschaften, thematisch sind sie breit gestreut von Mathematik über Biologie und Computerwissenschaften bis hin zu Soziologie, Philosophie und Geschichte. Abgesehen vom politischen Zugriff auf Inhalte und Ressourcen befürchtet die Akademie auch die Abwanderung exzellenter Forscherinnen und Forscher. Präsident Lászlo Lovász: „Einige der besten Forscher haben das Land bereits verlassen. Die Regierungspläne werden von einer überwältigenden Mehrheit der wissenschaftlichen Community in Ungarn abgelehnt.“

Am Mittwoch hat die Regierung Orban den Entwurf zur Umstrukturierung der Akademie im ungarischen Parlament eingebracht. Schon in den vergangenen Wochen haben tausende Menschen in den Straßen von Budapest gegen die Regierungspläne protestiert – diese Demonstrationen werden in den nächsten Wochen wohl weitergehen.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft; Mitarbeit: Angela Korb, ORF-Büro Budapest

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