Die Beute der Raubverlage

Über 500 Forscher und Forscherinnen aus Österreich haben in den vergangenen Jahren in unseriösen Zeitschriften publiziert oder Pseudokonferenzen besucht. In die Falle von Raubverlagen tappten vor allem medizinische und technische Fächer.

Mehrere 100.000 Euro sind auf diese Weise aus dem österreichischen Steuertopf an dubiose Raubverleger und Veranstalter geflossen. Den dahinterstehenden Organisationen geht es nicht um Wissenschaft, sondern ausschließlich ums Geschäft.

Vor allem Medizin und Technik betroffen

Der Missstand wurde bereits im Vorjahr aufgedeckt. Ein internationaler Rechercheverbund, an dem auch der ORF beteiligt war, berichtete von weltweit 400.000 Fällen. Wie nun Recherchen der Ö1-Dimensionen zeigen, finden sich auch 512 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Österreich in den Datenbanken von den zwei großen Raubverlagen Waset und Omics.

Mehr als 40 Prozent von ihnen stammen aus sechs Einrichtungen: Ganz oben in der Negativ-Rangliste liegen die Technischen Universitäten in Wien und Graz vor der technisch orientierten Fachhochschule Oberösterreich, dann folgen die Medizinunis in Wien, Graz und Innsbruck.

Gute Geschäfte

Das Geschäftsmodell der Raubverlage ist einfach: Sie bieten Konferenzen und Publikationen gegen Geld – in der Regel ein paar Hundert Euro –, überprüfen die Qualität der eingereichten Themen und Studien im Gegensatz zu seriösen Anbietern aber nicht. Das Peer Review, also die Begutachtung durch Fachkollegen und somit Gütesiegel der Wissenschaft, wird nur vorgegaukelt.

Ö1-Sendungshinweise

Die kompletten Rechercheergebnisse sind in den Ö1-Dimensionen zu hören: Raubverleger und ihre Beute: 17.6., 19.05 Uhr; am gleichen Tag berichten auch die Ö1-Journale und Wissen aktuell.

Für die aktuelle Recherche wurden die Datenbanken von zwei großen Raubverlagen untersucht: die aus der Türkei stammende World Academy of Science, Engineering and Technology (Waset) und die Omics Publishing Group, deren Zentrale in Indien liegt. Beide machen gute Geschäfte. Omics hat 2016 laut Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg einen Umsatz von 11,6 Millionen US-Dollar gemacht, der Gewinn betrug 1,2 Millionen. Waset gibt vor, jedes Jahr tausende Konferenzen zu organisieren, zu den Einnahmen gibt es keine gesicherten Zahlen, sie dürften aber auch bei Millionen Euro liegen.

Die Universität Helsinki hat mehrere Studien zu Raubverlagen veröffentlicht, ihr Fazit: Von 2010 bis 2014 hat sich die Zahl der Manuskripte in dubiosen Zeitschriften auf 400.000 fast verachtfacht.

Abstract trotz Widerstand bis heute online

Ein prototypisches Beispiel stammt vom Institut für Managementwissenschaften der TU Wien. Ein Dissertant hat dort einen Artikel für eine Waset-Konferenz eingereicht, die im Februar 2017 in Barcelona stattfinden sollte. Noch vor Beginn der Konferenz fiel den Verantwortlichen auf, dass es sich um keine seriöse Veranstaltung handelte.

Sie setzten alle Hebel in Bewegung, schalteten auch Rechtsabteilungen bei, um den eingereichten Artikel zurückzuziehen – scheiterten damit aber. In einer abschließenden, den Ö1-Dimensionen vorliegenden Waset-Mail heißt es: „Es tut uns leid, Sie zu informieren, dass wir in dieser Situation nichts tun können. Durch Einreichen des Artikels und Konferenzregistrierung haben Sie unseren Bedingungen bereits zugestimmt.“

Der Abstract des Artikels liegt bis heute auf der Waset-Website, der gesamte Artikel hingegen nicht. Er wurde mittlerweile in einem anderen, seriösen Journal veröffentlicht und dort gut aufgenommen, betonen die Verantwortlichen von der TU Wien.

Touristisch interessant und Dauerstress

Der Boom dubioser Publikationen und Konferenzen ist recht einfach zu erklären. Zum einen finden die Konferenzen gerne in touristisch interessanten Städten wie Venedig, Paris oder Wien statt – und die Forscher und Forscherinnen sind einem anschließenden Kurzurlaub nicht abgeneigt. „Viel wichtiger aber ist der immens gestiegene Druck hinsichtlich Veröffentlichungen“, sagt der Wirtschaftsingenieur Wilfried Sihn vom TU Wien-Institut mit dem Barcelona-Fall.

Dem stimmt Gerhard Fröhlich zu: „Die Forscher und Forscherinnen sind heutzutage im absoluten Dauerstress“, sagt der Wissenschaftsforscher von der Universität Linz. „40 Prozent ihrer Zeit verbringen sie heute nur mit der Formulierung von Anträgen. Das meiste davon wird abgelehnt, weil die Gelder von Vornherein nicht vorhanden sind, auch wenn das Projekt sehr gut ist.“

Screenshot der Waset-Homepage

Waset

Auf der Waset-Homepage kann man sich jetzt schon für eine Konferenz in Venedig 2032 anmelden - etwa für Veterinärmedizin

Wer Karriere machen will, muss publizieren, am besten so viel wie möglich. Besonders junge Forscher und Forscherinnen können es sich dabei nicht immer aussuchen, in welcher Zeitschrift sie veröffentlichen. Im Angebot befinden sich auch wenig bekannte und unseriöse. Wenn dann eine persönlich adressierte Mail einen einfachen Zugang zu einer Publikation oder einer Konferenz verspricht, tappen viele in die Falle – wobei der Wissenschaftsforscher Fröhlich wenig Mitleid mit diesen Kollegen und Kolleginnen empfindet:

„Wir müssen lernen, Informationen in Wissenschaft und Medien kritisch zu überprüfen und Bilder zu durchschauen. Leider ist die Ausbildung der meisten Naturwissenschaftler ohne Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsethik und Wissenschaftsforschung. Wenn sie dann in die Fallen plumpsen, ist das Schuld dieser dümmlichen Curricula.“

Uniko-Chefin sieht kein großes Problem

Und wie reagieren die Universitäten auf dieses Phänomen? Die Universität Graz hat letztes Jahr eine Aufklärungskampagne zum Thema „Fake Journals“ gestartet, mit Workshops, Beiträgen im Mitarbeitermagazin und Uni-Radio, Plakaten und Videos. Und: Es wurde eine Servicestelle eingerichtet, an die sich jeder Forscher, jede Forscherin der Universität Graz wenden kann, wenn er oder sie von einer unbekannten Zeitschrift angeschrieben wird. Die Universitätsbibliothek übernimmt die Recherche, ob das Angebot seriös ist.

Die Vorsitzende der österreichischen Universitätenkonferenz Uniko und Rektorin der Akademie der bildenden Künste, Eva Blimlinger, hält Raubverlage nicht für „das große Problem“. Weniger als die Verantwortung der Universitäten sei es die Verantwortung jedes und jeder einzelnen, welche Angebote akzeptiert werden: „Wichtig ist die Selbstverantwortung zu verankern im Sinn von: Schau dir an, wer dich da anschreibt, sprich mit Kollegen, frag in der Bibliothek nach, wenn du nicht fündig wirst“, so Blimlinger gegenüber den Ö1-Dimensionen.

Ein Stapel Zeitschriften

Christian Müller - Fotolia.com

Eine Frage der weltweiten Ungleichheit

Der Wissenschaftsforscher Gerhard Fröhlich zielt bei seinen Ratschlägen hingegen eher auf das System. So hält er die „seriöse“ Publikationspraxis für das größere Problem als die unseriöse der Raubverlage. Die anerkannten Fachzeitschriften weltweit gehören einer Handvoll Verlage, die ein Riesengeschäft machen. Rund zehn Milliarden US-Dollar beträgt ihr Umsatz jedes Jahr – ein Vielfaches vom Umsatz der Raubverlage. Die riesige Summe kommt durch hohe Abo- und Publikationskosten zustande, die sich die Universitäten der reichen Länder leisten können. Die Verlage sitzen ebenfalls in den reichen Ländern - in den USA und Europa, China holt dabei rasant auf – jene drei Regionen, die auch die Wissenschaft dominieren.

Diese globale Dimension ist wichtig, um das Phänomen Raubverlage einzuordnen, meint der Wissenschaftsforscher Gerhard Fröhlich. Die reichen Länder würden armen Wissenschaftlern im globalen Süden keine seriösen Publikationschancen bieten – insofern sei es kein Wunder, dass genau dort die Raubverlage sitzen, die Artikel um einen viel geringeren Preis verfügbar machen als die Verlage im globalen Norden. „Statt Chemiehühner in der Landwirtschaft zu subventionieren, die den Hendelmarkt in Afrika kaputtmachen, könnte man Geld in seriöse afrikanische Open-Access-Journale stecken - für sehr wenig Geld“, so Fröhlich.

Weniger Pseudo-Wettbewerb

Wissenschaftsförderung in die Entwicklungshilfe zu integrieren ist ein Vorschlag des Wissenschaftsforschers. Seine Hauptkritik zielt aber auf die Entwicklung der Wissenschaft im Allgemeinen ab. Die Politik hat den Wettbewerb an den Universitäten zur obersten Maxime erklärt. Schon vor 30 Jahren wurden in der öffentlichen Verwaltung privatwirtschaftliche Managementtechniken übernommen. In Bereichen, in denen es keinen Markt gab, wurden künstliche Wettbewerbe inszeniert, auch in der Wissenschaft – „Qualität“ wurden fortan vor allem über den Output, in erster Linie über Publikationen, gemessen.

Darüber freuen sich bis heute seriöse Verlage und Raubverlage gleichermaßen. Der Rat der Experten lautet daher in erster Linie: Geschwindigkeit aus dem System nehmen, weniger Publikationen, weniger Orientierung an Impact-Faktoren und weniger Pseudo-Wettbewerb.

Lukas Wieselberg, Elke Ziegler, science.ORF.at

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