Molekulare Musik: So klingen Proteine

Kurioses Experiment am Massachusetts Institute of Technology: Dort haben Forscher die Schwingungen von Proteinen in Musik übersetzt – und erzeugen nun mit neuen Kompositionen neue Proteine. Auch solche, die es in der Natur gar nicht gibt.

Die Molekülmodelle, die wir alle noch aus dem Chemieunterricht in guter (oder nicht so guter) Erinnerung haben, führen in einer Hinsicht auf die falsche Fährte. Denn Moleküle sind permanent in Bewegung, sie wabern, schwingen und vibrieren.

Der Sound der Säure

Wie Markus Buehler vor ein paar Monaten herausgefunden hat, verfügt beispielsweise jede Aminosäure über einen ganz individuellen Sound, so wie ein winziges Instrument. Die Schwingungen der Proteinbausteine sind für das menschliche Ohr unhörbar, weil in einem extrem hohen Frequenzbereich angesiedelt, aber man kann das Ganze in unser Hörspektrum verschieben, ohne dass sich etwas an den akustischen Verhältnissen ändert. Das hat der Chemiker vom MIT nun gemacht.

Proteinmodell (links) und entsprechendes Frequenzdiagramm (rechts)

Zhao Qin and Francisco Martin-Martinez

Frequenzdiagramm: das Protein als Klangkörper

Das Ergebnis präsentiert er diese Woche im Fachblatt „ACS Nano“: Mit Hilfe der Aminosäuren-Tonleiter ordnet Buehler nun jedem Protein eine Art Melodie zu. Der Sommerhit des Jahres 2019 wird das Ergebnis zwar nicht werden, aber bei einem Elektronik-Festival würden die Forscher wohl eine ganz gute Figur machen. Die Rhythmen sind erstaunlich eingängig, zumindest, wenn man die richtigen Moleküle miteinander kombiniert.

Das Konzert von Flavoenzym (beteiligt an der Steroid-Synthese), Lysozym (enthalten im Eiklar und in der Tränenflüssigkeit) und einem künstlichen Protein klingt etwa so:

Suche nach dem „heiligen Gral“

Wie der MIT-Forscher im Gespräch mit dem ORF erzählt, lernte er im Laufe der Monate Proteine an ihrem Klang zu erkennen, Seidenproteine etwa oder das Kollagen in unserer Haut. Immerhin – doch Buehler ist damit nicht zufrieden. „Der heilige Gral der Proteinforschung wäre es, aus der Aminosäuren-Sequenz auf die Funktion des Proteins zu schließen. Warum ist gerade das Seidenprotein so stark? Warum löst eine Mutation Krankheiten aus? Solche Fragen wollen wir beantworten. Doch so weit sind wir noch nicht.“

Das liegt vor allem daran, dass es extrem viele Möglichkeiten gibt, Aminosäuren zu Proteinen und ihren dreidimensionalen Strukturen zusammenzusetzen. Selbst Supercomputer stoßen da schnell an ihre Grenzen – mit brutaler Rechenkraft allein lässt sich die Sprache der Proteine nicht entschlüsseln. Der Umweg über die Tonleiter jedenfalls bietet die Möglichkeit, dieses Problem völlig anders anzugehen. Buehler und sein Team haben auch ein künstliches neuronales Netz mit den Frequenzdaten gefüttert und ihm ein Grundverständnis der darin enthaltenen Harmonien beigebracht.

Wie die Forscher in ihrer Studie schreiben, kann das lernfähige Programm neue Varianten von Proteinen herstellen und sie in mancher Hinsicht sogar verbessern. Langfristig will Buehler die Proteine von Grund auf neu designen, mit maßgeschneiderter Funktion. Noch ist das Zukunftsmusik.

Ein paar Takte aus diesem Stück kann der MIT-Forscher schon anbieten – nun zu hören: ein von der Software komponiertes Protein, das es in der Natur nicht gibt.

Robert Czepel, science.ORF.at

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