Vom Friedensvertrag zum Klimaabkommen

Der vor genau 100 Jahren unterzeichnete Friedensvertrag von Versailles hat vielen Deutschen als „Schandfriede“ gegolten. Seine Bedeutung für das Völkerrecht wird erst seit Kurzem geschätzt – und lässt sich etwa am UNO-Klimaabkommen zeigen.

„Der Vertrag von Versailles ging über die klassischen Materien des Völkerrechts von Krieg und Frieden hinaus und eroberte quasi neue Terrains. Man wollte nunmehr auch anderen Zwecken – aus Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Kunst – transnational nachgehen“, sagt Miloš Vec, Leiter des Instituts für Rechts- und Verfassungsgeschichte an der Universität Wien.

In dieser Tradition stehe auch das UNO-Klimaabkommen, das 2015 beschlossen wurde - ebenfalls in Paris. Wobei der Vergleich einigermaßen hinkt: Das Klimaabkommen ist für keines der Unterzeichnerländer rechtlich bindend. Der Friedensvertrag von Versailles war das hingegen schon.

Unterzeichnung des Friedensvertrags am 28. Juni 1919 im Spiegelsaal von Versailles

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Unterzeichnung des Friedensvertrags am 28. Juni 1919 im Spiegelsaal von Versailles

Harte Bedingungen

Nach dem Waffenstillstand im November 1918 und einer Friedenskonferenz, die im Schloss Versailles tagte, beendete erst der Friedensvertrag endgültig den Ersten Weltkrieg. Seine Bedingungen wurden unter den Siegermächten ausgehandelt – allen voran die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien.

Ö1-Sendungshinweis

Über das Thema berichteten auch die Ö1-Journale, 28.6., 12:00 Uhr.

Ein Entwurf wurde der deutschen Regierung im Mai 1919 vorgelegt, trotz Protesten kam es nur zu wenigen Nachbesserungen. Mit ihren Unterschriften am 28. Juni im historischen Ambiente des Versailler Spiegelsaals erkannten die deutschen Minister die Bestimmungen des Vertrags an. Darunter das Eingeständnis der Kriegsschuld, was zur Grundlage für hohe Reparationsforderungen wurde, der Verlust aller Kolonien und eine deutliche Verkleinerung des deutschen Heers.

Die harten Bedingungen sorgten in Deutschland für Bitterkeit und weitreichende Ablehnung. Die politische Rechte machte sich in den nächsten Jahren daran, „Versailles“ scheibchenweise rückgängig zu machen – und vergaß dabei auf den Friedensvertrag von Brest-Litowsk, bei dem der jungen Sowjetunion ein Jahr zuvor noch weit harschere Bedingungen zugemutet wurden. Kritik am Vertrag von Versailles übten freilich auch viele Vertreter der Alliierten – der britische Ökonom John Maynard Keynes etwa, der die wirtschaftlichen Schwierigkeiten voraussah und sich unter Protest aus der Delegation seines Heimatlandes zurückzog.

Unterschriften auf dem Friedensvertrag

Library of Congress

Unterschriften auf dem Friedensvertrag

„Präzedenzlose internationale Verrechtlichung“

Auch der Rechtshistoriker Vec hält Aspekte des Vertrags von Versailles für einen Fall von „Siegerjustiz“, er betont aber seine positiven Seiten. „Er hat eine präzedenzlose internationale Verrechtlichung der Beziehungen zwischen Staaten herbeigeführt. Es gab noch nie so viel Völkerrecht wie in diesem Moment.“ Als historische Vorläufer im 19. Jahrhundert sieht er technische und wirtschaftliche Innovationen, wie etwa das Metermaß als internationaler Standard oder das internationale Briefporto, die juristisch verabredet wurden.

„Auch bei den Haager Friedenskonferenzen, die sich mit delikateren Dingen beschäftigten wie Kriegsführung und Abrüstung, war man dazu übergegangen, diese Themen unter das Völkerrecht zu stellen.“ Ein Prozess, der nicht ohne Widerstände ablief. „1902 etwa sprach der deutsche Generalstab von ‚Gebräuchen im Landkrieg‘. Das Wort vermied die Vorstellung von Völkerrecht als etwas Zwingendem und Verpflichtendem. So schien es nur eine Konvention zu sein, an die man sich halten konnte oder nicht.“

Die Verhandler in Versailles 1919: David Lloyd George, Vittorio Orlando, Georges Clemenceau, und Woodrow Wilson

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Die Verhandler in Versailles 1919: David Lloyd George, Vittorio Orlando, Georges Clemenceau und Woodrow Wilson

Meilenstein für international verbindliche Regeln

Der Vertrag von Versailles ging in die Gegenrichtung und setzte auf das Völkerrecht. Integraler Bestandteil aller Pariser Vorortverträge war die Schaffung des Völkerbunds, der Vorläufer der Vereinten Nationen (UNO), der den zukünftigen Frieden sichern sollte. „Der Vertrag hatte sicher Konstruktionsfehler, aber er wollte etwas ganz Neues und Ambitioniertes, und hat sich in vielen Unterkommissionen auch um wirtschaftliche, soziale, wissenschaftliche und literarische Zwecke bemüht. Das ist von der Völkerrechtsgeschichte erst in den letzten Jahren im Einzelnen entdeckt und insgesamt freundlicher bewertet worden.“ Ein Beispiel: die Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die sich für soziale Gerechtigkeit weltweit einsetzt und als UNO-Sonderorganisation bis heute besteht.

Der Friedensvertrag war somit ein Meilenstein auf dem Weg zu international verbindlichen Regeln. Vec: „Die Vorstellung, dass wir uns wechselseitig auf bestimmte Inhalte verpflichten, und zwar durch Recht und nicht durch einseitig aufkündbare Meinungsäußerungen oder willkürliches Handeln, trägt in den besseren Momenten die internationale Politik bis heute – also auch das Pariser Klimaabkommen.“

Die Klimakrise ist ein besonders anschauliches Beispiel für den Wert internationaler Verträge – kein Land kann allein etwas gegen sie ausrichten. Vec ist trotz des US-Ausstiegs aus dem Pariser Klimaabkommen in dieser Frage leicht optimistisch und ortet dank Aktionen wie „Fridays for Future“ gerade einen Stimmungsumschwung. „Es entsteht zunehmend ein globales Bewusstsein über die gegenseitige Abhängigkeit. Wir sind auf Kooperation angewiesen. Wenn wir Zwecke wie Umweltschutz, Menschenrechte, Abrüstung und Sicherheit erreichen wollen, müssen wir Verträge schließen und einhalten.“

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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