Rätsel um radioaktive Wolke gelöst

Im Oktober 2017 meldeten 27 europäische Länder eine radioaktiven Wolke in der Luft, genauer das Isotop Ruthenium-106. Niemand hat bisher die Verantwortung dafür übernommen. Forscher konnten den Ursprung der radioaktiven Wolke nun vermutlich identifizieren.

Eigentlich gibt es ein internationales Meldesystem für Unfälle, bei denen radioaktive Stoffe freigesetzt werden. Doch im Oktober 2017 meldete sich niemand, als eine Wolke des radioaktiven Isotops Ruthenium-106 über Europa, Asien, Nordafrika und sogar bis in die Karibik zog. Eine Entdeckung, die zwar nicht gefährlich war, unter Strahlenphysikern allerdings für Aufregung sorgte.

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Mittagsjournal, am 27.7. um 12:00.

Wetterdaten als wichtiger Hinweis

Denn man hatte ein einziges Radionuklid in einer solche Menge noch nie gemessen, sagt Georg Steinhauser von der Universität Hannover. „Im Vergleich zum Reaktorunfall von Fukushima waren die Konzentrationen bis zu einhundert mal höher“, so Steinhauser, der betont, dass es dennoch nie eine Gesundheitsgefährdung in Europa gegeben habe. Steinhauser gehört der internationalen Gruppe an, die Daten von 1.300 Strahlungsmesspunkten weltweit mit meteorologischen Informationen verknüpfte und die Ergebnisse jetzt in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlichte.

Für Österreich lieferten die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und die Technische Universität Wien entscheidende Daten. Aufgrund der Messungen konnten die Strahlenphysiker den Ursprung der Wolke zurückverfolgen. Die Wissenschaftler kamen auf Grund der Wetterdaten zu dem Schluss, dass der Freisetzungsort der Wolke im südlichen Ural und mit großer Wahrscheinlichkeit auf russischem Territorium liegen müsse.

Spurensuche führt nach Majak

Doch die Spurensuche endete hier nicht: Bei einem Reaktorunglück wird eine Mischung verschiedener radioaktiver Spaltprodukte freigesetzt. In diesem Fall fand man jedoch nur Ruthenium-106. Aus diesem Grund komme eine militärische Anlage oder ein Kernkraftwerk als Ursprung nicht in Frage, erklärt Steinhauser. Es musste sich bei dem Ursprungsort um eine Wiederaufbereitungsanlage handeln, in der benutzte Brennelemente aus Atomreaktoren in weiterverwertbare Anteile und radioaktiven Abfall getrennt werden, so der Strahlenphysiker.

„Wir können sogar sagen, dass es in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium der Wiederaufbereitung passiert ist“, erklärt Steinhauser weiter. Die Anlage sei demnach fast fertig gewesen, mit der Wiederaufbereitung, als der Unfall geschah. In dem fraglichen Gebiet gibt es nur eine solche Anlage, die ein solches Vorhaben theoretisch bewältigen könnte: Die Wiederaufbereitungsanlage Majak im südlichen Ural.

Auftraggeber identifiziert

Die Studie sieht hier eine wahrscheinliche Verbindung zu einem europäischen Forschungsgroßprojekt, dem Teilchenphysiklabor im italienischen Gran Sasso Gebirge. Das hatte vor einigen Jahren in Majak eine sehr starke Strahlenquelle bestellt. Hier mussten die Strahlenphysiker detektivisch kombinieren: Kurz nachdem die Rutheniumwolke Europa überquert hatte, stornierte Majak einseitig die Bestellung. Man sei nicht in der Lage, die Quelle mit den nötigen Spezifikation herzustellen, hieß es in der Erklärung.

Doch, betont Steinhauser, all das sei nur eine gründlich belegte Annahme. Denn bis jetzt gebe es keine Reaktion von russischer Seite. „Wir können diese Theorie nicht abschließend bestätigen, weil niemand für die Freisetzung der Wolke die Verantwortung übernommen hat“, so Steinhauser. Ein Umstand, den der Strahlenphysiker und seine Kollegen bedauern. Denn aus dem Unfall hätte die Wissenschaft für die Zukunft lernen können.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu dem Thema: